»Liebe, Faschismus und Schmerz«
Wollita für Dietrich Kuhlbrodt
Am Sonntag bekam der Staatsanwalt a.D., Nazi-Jäger, Filmkritiker und Schlingensief-Schauspieler Dietrich Kuhlbrodt in Berlin den »Ich-sehe-was du-nicht-siehst-Kulturpreis« 2010, auch »Wollita« genannt. Diese kleine Wollita wurde Kuhlbrodt von der großen Wollita in der Kreuzberger Kneipe Südblock überreicht. Die kleine Wollita ist eine Art gehäkelter Pokal, eine Wollpuppe, ungefähr so groß wie eine Barbie. Die große Wollita ist eine 1,74 Meter große Topflappenpuppe mit Knochen aus Kleiderbügeln, der 2004 in Berlin von der Boulevardpresse übel mitgespielt worden war. Von der Musikerin Françoise Cactus von der Band Stereo Total war sie für eine Ausstellung geschaffen worden, um als gehäkelte Persiflage auf die Wichsvorlagen der Boulevard-Presse gegen die Degradierung der Frau zum Sexualobjekt aufmerksam zu machen. Doch Bild und B.Z. häkelten sich daraus ihren eigenen Kinderpornoskandal. Sie behaupteten, Wollita würde die Jugend verderben, und provozierten Ekel und Haß gegen die Puppe, ganz so, wie schon die Nazis gegen »Entartete Kunst« gehetzt hatten. Daraufhin forderten verschiedene Kulturschaffende, Wollita müsste vom Springer- Verlag zur Entschädigung den »B.Z. Kulturpreis« bekommen. Aber das wäre ja ein Argument der Aufklärung und der Vernunft, Werte, die dem Boulevard völlig gleichgültig sind.
Also stiftete Wollita ihren eigenen Kulturpreis, der am Sonntag zum vierten Mal verliehen wurde. Wollita spitzte dazu die Lippen und sang ein kleines Liedchen: »Ich singe ins Herz/ ins Herz aller Menschen / von Liebe, Wolle und Schmerz«. Laudator und jW-Redakteur Christof Meueler wies in seiner Rede darauf hin, man müsste nur das Wort »Wolle« durch »Faschismus« ersetzen, dann habe man eine gute Beschreibung des intellektuellen Wirkens von Dietrich Kuhlbrodt, der seit 1957 in seinen Filmkritiken »im Prinzip von Liebe, Faschismus und Schmerz« schreiben würde. 1965 arbeitete Kuhlbrodt mit anderen jungen Staatsanwälten in der »Zentralen Stelle zur Verfolgung der NS-Gewaltverbrechen« in Ludwigsburg und wurde gewahr, wie vor seinem Büro in einer Prozession der SS-General Josef Dietrich feierlich zu Grabe getragen wurde, die Bundeswehrkapelle vorneweg. Kuhlbrodt sei es gelungen, derlei Wahnsysteme zu beschreiben, ohne Überwältigungsästhetik und Mystik, wie sie in solchen Hitlerei-Filmen wie »Der Untergang« gepflegt wurde. Denn gegen Repression und Manipulation stünde der Anspruch auf ein reichhaltiges Leben das wüsste niemand besser als eine Topflappenpuppe, die der Boulevard fertigmachen wollte, so Meueler.
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Wollita Preisverleihung 2010
Laudator Christof Meueler, Françoise Cactus, Wollita, Preisträger Dietrich Kuhlbrodt, Wolfgang Müller und Martin Schmitz (v.l.n.r.)
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