Martin Schmitz Verlag

Gedichte jenseits des Kanons von Rosa von Praunheim, Thomas Knoefel und Friedrich Schröder-Sonnenstern

Der Schriftsteller Mark Simpson, der einst David Beckham als metrosexuell "outete", konnte nicht ahnen, dass seine ironisch eingesetzte Wortschöpfung einige Zeit später in den Boulevardmedien zum Beweis einer neuen Männlichkeit herangezogen werden sollte: Der moderne Mann lackiert sich die Fingernägel, trägt einen Reif im Haar - und ist trotzdem nicht schwul. Ja, seine Maskerade sei lediglich ein Trick, um besser an das Objekt Frau heranzukommen. Ein Blick in die Natur beweist: Gegen die Papageienfische (Scarinae) ist das gar nichts. Dort können sich aus einem grauen Weibchen farbenprächtige Supermännchen entwickeln, die sich auch noch Haremsweibchen halten.
Diese Metamorphosen finden in einer moral- und kanonfreien Zone statt - genau der Region, in der Rosa von Praunheim wirkt. Er "legt Gedichte wie Eier", ganz automatisch, so legt es jedenfalls der Klappentext seines Gedichtbandes "Mein Armloch" nah. Deutschlands berühmtester Schwulenaktivist verwandelt sich dafür nicht in ein Huhn, sondern in einen Hasen, genauer: einen Osterhasen. Listig präsentiert er seine "Naturprodukte", die trotzdem in grellen, ja künstlichen Farben leuchten.
Doch Rosas Eier wollen gegessen werden. Ihr Gehalt, ihr unvergleichlicher Geschmack, ja ihre Wahrheit verbirgt sich unter der grellen Kalkkruste. So zwingt von Praunheim als Professor für Film inzwischen Studenten, seine Reime, Elfchen und Strophen vorzutragen. Eine Art Initiationsritus, der die Grausamkeiten des Apfelkuchenessens genauso berücksichtigt wie das Leuchten der Tomate. Nur die Tomate versteht dich. Sogar wenn du einsam bist und ohne Geld und Verstand. Ein schamloser Gedichtband - voller Liebe, Lust und Zärtlichkeit, und alles ohne Haarreif und lackierte Fingernägel. Zauberhaft! ...

Wolfgang Müller in: die tageszeitung Berlin 22./23.4.2006
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Rosa von Praunheim  - Mein Armloch

“Rosa der Poet funktioniert im Prinzip nicht anders als Rosa der Filmemacher: Er ist nicht immer gut, aber mit viel Spaß bei der Sache. Eigentlich funktioniert ja der ganze Rosa so.
Dem Gesamtkunstwerk Praunheim kann man genauso gespalten gegenüberstehen wie seinem Werk, muss aber einsehen, dass er mit seiner Nicht-Methode mehr erreicht hat als die meisten: Der Medienbetrieb sitzt vor ihm wie das Kaninchen vor der Schlange - ängstlich, was er als Nächstes tut, aber unfähig wegzuschauen -, er hat beinharte Fans, auch unter Heteros, und mehr zu gesellschaftlicher Veränderung beigetragen als jeder andere Autorenfilmer. Außerdem hat er sich dabei doch mehr Freunde gemacht, als man annehmen würde bei jemandem, der so streitbar ist. Diesen Freunden, seiner (Wahl-)Familie und seinen Studenten hat er im Laufe der letzten 20 Jahre gelegentlich Gedichte geschenkt und die Beschenkten dann gezwungen, die Verse öffentlich vorzutragen, als Mutprobe. Das war sicher nicht immer einfach, denn Praunheims Wortwahl ist eher lutherisch. Es wird gekotzt, gepisst und in einem Wald aus Schwänzen gefickt. Aber, das kommt vor im Leben. Rosa schreibt Gebrauchslyrik, so wahr und anhänglich wie ein Kalenderspruch und oft auch so banal. Aber manchmal eben auch nicht: Jeder Mann hat seine Schamgrenze / Meine ist sehr klein / Aber trotzdem schrecke ich immer zurück / wenn mir jemand auf die Schulter klopft / und Arschloch zu mir sagt Schön ist das, wie da jemand 60 Jahre Leben in fünf Zeilen packen kann. Dass er das mehr als nur einmal auf 120 Seiten tut, sollte dazu führen, dass “Mein Armloch” bald vergriffen ist.”

Paul Schulz in: Siegessäule 01/2003
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Wer braucht Star Wars?
Rosa von Praunheims Notizen aus der Prominenz

„Ich liebe Memoiren“, jubelt Rosa von Praunheims Tagebuch am 19. August 1985. Und acht Jahre später kommen auch schon seine eigenen heraus: „50 Jahre pervers“, pikanterweise erst nach dem eigentlichen Lebensjubiläum publiziert, das auf den 25. November 1992 fiel. Aber die erste Fassung der Memoiren ging noch einigermaßen pünktlich am 4. April 1992 an den Autor zur Überprüfung, wie wir dem entsprechenden Tagesnotat entnehmen können. Was mag Rosa von Praunheim danach noch geändert haben - der Mann, der dafür bekannt ist, alles öffentlich zu machen? Das erfahren wir leider aus seinen Tagebüchern nicht, die nun, noch einmal sechzehn Jahre später, die Erinnerungen aufs amüsanteste und interessanteste ergänzen und aktualisieren.
Rosa von Praunheim wurde als Holger Mischwitzky geboren und führt seinen Künstlernamen schon fast so lange wie sein Tagebuch. Das setzt 1960 ein, Holger ist da siebzehn; und sein Comingout als Homosexueller steht erkennbar kurz bevor: „Abends um halb neun mit Mutti und Vati im Kino: Anders als Du und ich von Veit Harlan über den § 175. Verwirrte mich sehr.“ In den Jahren danach - Praunheim ist aus Praunheim nach Berlin umgezogen - lebt er sich immer intensiver in die Schwulen- und die Künstlerszene der Stadt ein. Im Tagebuch nimmt er betreffs der dabei jeweils gängigen Praktiken genauso wenig ein Blatt vor den Mund wie im Filmschaffen, das seit „Schwestern der Revolution“ von 1969 im Zeichen des Kampfes von Homosexuellen beiderlei Geschlechts um ihre Freiheit steht.
Mittlerweile hat Rosa von Praunheim 62 Filme gedreht, der 63., „Rosas Höllenfahrt“, wird am 31. Oktober in die deutschen Kinos kommen, und der 64. ist in Arbeit. Wie man dem letzten Eintrag von Praunheims Internet-Tagebuch entnehmen kann, ist er derzeit zu Dreharbeiten in New York, seiner zweiten Lebensstadt. Heißen wird der Film „New York Memories“.
Ein stolzes Schaffen für jemanden, der als nicht einmal Dreißigjähriger bereits elf Filme abgedreht hat, darunter die famose „Bettwurst“ und das sprichwörtlich gewordene Werk „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“, und der 1972 festhält: „Der Sinn des Lebens besteht für mich aus Spiel, Fantasie, Exzentrik, Einfällen und spielerischem Intellekt … Filme zu machen ist nicht die Hauptsache, die Hauptsache ist, intensiv zu leben: Erfahrungen, Abenteuer, Erkenntnisse.“ Und von diesem Anspruch ist Rosa von Praunheim nicht abgewichen - zum Glück auch nicht in der Nebensache Film, die ihm doch recht häufig zur Hauptsache gerät, auch im Ärger, etwa, nachdem er 1977 in Amerika „Star Wars“ gesehen hat, „diesen unsensiblen Kriegsfilm“.
„Rosas Rache“ heißt der gerade bei Martin Schmitz erschienene Band, der so schön produziert ist, wie man es von dem Berliner Kleinverlag gewohnt ist. Zu den drastisch gekürzten Notaten - Auslassungen werden nicht ausgewiesen - gibt es ein Propädeutikum zu wichtigen Lebensthemen wie „Mütter“, „Sex und Liebe“ oder „Aids“. Und es gibt Bilder, viele Bilder, ein Drittel des Buchs. Das soll wohl den Untertitel „Filme und Tagebücher seit 1960“ rechtfertigen, aber es ist viel Material gesammelt worden, das mit Praunheim selbst, nicht aber mit seinem Werk zu tun hat. Oder sagen wir: nicht direkt, denn natürlich ist Rosa von Praunheim sein eigenes Kunstwerk, und dieses Buch ist noch eine Facette im paradiesvogelbunten Kaleidoskop dieser Schöpfung.
So muss man es denn auch lesen: mit Freude an der schillernden Figur. Wer dazu bereit ist, der findet unter allem Tratsch und dem „Toll, toll, toll“-Jauchzen des Autors subkutan eine Geschichte der Schwulenbewegung, Stadtporträts von Berlin und New York, die anders aussehen als jeder Reiseführer, und ein Bekenntnis zur Individualität, das vor allem gegen eines keine Rücksicht kennt: sich selbst. Auch das ist eine Kunst.

Andreas Platthaus in: Frankfurter Allgemeine vom 8.10.2009
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Leidenschaften - Rosa von Praunheim hat schon immer sein Leben öffentlich gemacht. Jetzt eben per Tagebuch. Sehr lesenswert!

Tagebücher fristen ja normalerweise ein tragisches Schicksal: Das eigentlich Interessante an ihnen ist nicht der Inhalt, sondern dessen Geheimhaltung. Genau Gegenteiliges lässt sich vom Tagebuch des Filmemachers, Malers und Schriftstellers Rosa von Praunbeim behaupten. Mit seinem signalroten Einband und dem aggressiven Titel „Rosas Rache“ wirkt die Veröffentlichung seiner gesamten Tagebuchaufzeichnungen (1960-2009) wie eine Kampfansage an Traditionen der Verheimlichung des vermeintlich Privaten. Bereits in den 70ern, lange vor dem selbstverständlichen Ausplaudern intimer Details in Talkshows und Weblogs, wurde von Praunheim „von den Medien zum Experten für Schwulenfragen gemacht und war einer der wenigen, der sich traute, nicht nur seinen Arsch, sondern auch sein Gesicht zu zeigen, sich öffentlich macht.“
Nach seinen Memoiren „Sex und Karriere“ (1976), „Fünfzig Jahre pervers“ (1992) sowie dem Film „Pfui Rosa“ (2002) bekommt der Leser ein weiteres Mal Einblicke in das intensiv geführte Leben des Phänomens. In kurzen prägnanten Sätzen schildert von Praunheim sexuelle Eskapaden, Erfahrungen, Abenteuer und Erkenntnisse zwischen Set, Sauna, Flughafen, Park und Klappe. Rosas Urteile über seine Umwelt und deren künstlerischer Ausstoß fallen genauso schonungslos aus wie seine Selbstkritik. Am stärksten sind die Passagen, in denen er über die reinen Fakten hinausgeht, über sich zu reflektieren beginnt und in Metaphern spricht: „Seit Jahren kämpft es in mir. Ich bin gefangen von einer unsichtbaren Kraft. Ich bin ein Spiel“, schreibt er am 10. Juli 1963.
Ein komplettes Werkverzeichnis schließt an die Tagebucheinträge an. Dieses exzentrische Selbstbekenntnis ist wirklich nichts für die Schublade, sondern gehört ans Licht und will gelesen werden.

Arwen Haase in: Du&Ich, Dezember 2009/Januar 2010
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Rosas Rache

Nachdem 1993 mit "50 Jahre pervers. Die sentimentalen Memoiren des Rosa von Praunheim" erschienen sind, teilt der Filmemacher nun seine Tagebücher in Rohform mit der Welt. Eine Zumutung, die sich lohnt. Sie zu lesen ist anstrengend, der Text ist zweispaltig gesetzt und ähnelt dem eines Lexikons. Die Einträge sind aneinandergereiht, bestehen aus Gedankenfetzen und telegrammartigen Berichten. Keine ordnende Autorenhand leitet den Leser und zeigt ihm, was wichtig oder neu ist. Es ist eher ein Durcharbeiten. Glücklicherweise hat aber auch keine Lektorenhand die Einträge geglättet, sie sind krass und witzig. "Er fickt mich von hinten, und ich weinte vor Glück", schreibt er im Jahre 1976 über einen Barry, den er in New York kennengelernt hat. Oder: "Tolle Typen, ich fickte erst einen irre behaarten. Ich bin so geil und beseelt vom Sex." Der Telegrammstil nervt in den Momenten, in denen man gern mehr wissen würde: Am Tag, an dem aus dem behornbrillten Holger Mischwitzky das schrille Alter Ego Rosa wurde, heißt es kürzestmöglich: "Ich erfand meinen Künstlernamen Rosa von Praunheim." Und wie war das mit seinem Prominenten-Outing, das ihn Anfang der 90er zum "bestgehassten Schwulen in Deutschland" machte? Hat er hinterher mit sich gekämpft? Er schreibt nur: "Skandal, alle Zeitungen riefen an, die Biolek und Kerkeling als meine Opfer darzustellen versuchten." Und einen Tag später heißt es: "Bildzeitung, Titel Pfui Rosa-Verräter. Hape Kerkeling bekennt, ich bin schwul, von Biolek kein Kommentar." Weniger kann man kaum sagen.
Trotz allem ist dieses Buch empfehlenswert. Es ist ein Durchritt durch die schwule Geschichte, weil Praunheims Leben eng mit dieser verwoben ist: Der Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" machte ihn als Regisseur endgültig bekannt und berüchtigt. "Eine irre Atmosphäre, total aufgeheizt", schreibt er über die Berlinale-Premiere 1971. "Viele Schwule fühlten sich zu Unrecht angegriffen, so sind wir nicht, du bringst uns zurück ins KZ".
In den 80er Jahren dominiert vor allem ein Thema die Einträge. Da sind die ersten Hinweise auf eine ominöse Seuche. ("Ich las im Spiegel zu Tode erschreckt den Artikel über die tödliche Schwulenkrankheit, den schwulen Krebs, an dem in New York jeden Tag einer stirbt.") Es folgt ein unbestimmtes Bedrohtheits-Gefühl und die eigene Angst vor Aids ("Ich betaste zehnmal täglich meine Lymphknoten und denke, der Test war falsch"). 1984 meldet er sich mit einem eigenen Artikel im "Spiegel" zu Wort: "Ich warnte ganz radikal vor der Krankheit und rief zu Safer Sex auf." 1986 dreht er mit "Ein Virus kennt keine Moral" eine bitterböse Satire. Wie schon zuvor will Praunheim wieder durch Provokation aufrütteln. "Ich bin so wütend und fmde diese lahme Haltung der Schwulen zum Kotzen."
Aufgrund der Knappheit der Einträge bleiben leider auch die Einblicke in seine Arbeit als Regisseur fragmentarisch. "Mit den vier Tunten das Filmprojekt ,Tunten lügen nicht' besprochen. Sie sind alle so witzig, heißt es am Anfang des Drehs. Spannend sind sie aber allemal, weil sich gerade bei den politischen Filmen wieder beides zeigt: die Arbeit des Filmemachers und die Entwicklung des schwulen Diskurses, in dem er oft den bösen Buben gespielt hat.
Seinen künstlerischen und persönlichen Weg zeigen auch die Textfetzen zu den anderen seiner weit über 50 Filme. Das sind Trash-Klassiker wie "Die Bettwurst", der bis zur Lächerlichkeit übertrieben und gerade deswegen zum Kultfilm geworden ist. ("In der Frankfurter Allgemeinen stand das Tollste: ,Es gibt auch im nichtkommerziellen Kino Stars, der größte in Deutschland: Rosa von Praunheim'. Bin ich jetzt berühmt?") Das sind liebevolle Porträts von starken, selbstbewussten Frauen, egomamanische Werke von Praunheim ("Pfui Rosa") und immer wieder überraschende, sozialkritische Reportagen, über ein Berliner Obdachlosentheater etwa oder über die Bewohner eines kleinen Dorfs in Mecklenburg-Vorpommern.
Die Werke sind wütende Pamphlete und verliebte Hommagen eines genialen Verrückten. Mit ihnen ist er eins. "Film ist für mich, Gefühle in Bilder umzusetzen, und nicht, wie so oft an Filmschulen, Gedanken in Bilder ..." Die Filme und ihr Schöpfer selbst sind nervig, genial, übermütig und bezaubernd. "Rosas Rache" erzählt davon. Auch wenn es anstrengt, das Zuhören lohnt sich.

Stefan Mey in: Männer 08/2009
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Privates Staccato
Öffentlich intim: Rosa von Praunheims Tagebücher

Auch weltberühmte Schwulenaktivisten wie Rosa von Praunheim mussten erst einmal ihr erstes Mal verkraften. "Es war ein großes Erlebnis für mich. Obwohl ich nicht pervers zu sein glaube, war es für mich so ästhetisch, dass ich es nicht bereue", notiert 1962 der 19-jährige Holger Mischwitzky alias Rosa von Praunheim in sein Tagebuch.
Über den Fortgang seiner sexuellen Erfahrungen hält der damalige Student der Hochschule der Künste die Nachwelt auch weiterhin detailliert auf dem Laufenden. Geradezu exzessiv listet Praunheim seine Ficks und Dates mit Lovern, Strichern und Cruising-Bekanntschaften: "Auf der Klappe blies ich einen großen Schwanz von einem Zwerg. Ich habe immer Schuldgefühle wegen Krankheiten und bekam einen Krampf im Hals". Kurz und bündig sind auch seine übrigen Notate. Im Staccato kann man als Leser dem Entstehen, Verwerfen und bisweilen auch der Realisierung künstlerischer Ideen folgen. Eine ausführliche Einleitung liefert für Unkundige den notwendigen Background zu Leben und Werk. Danach kann man sich 300 Seiten lang durch Praunheims Notizen der Jahre 1960 bis 2008 auf der Suche nach Intimitäten, verstreuten Bonmots und Selbsterkundungen machen: wie er allenthalben über Fress- und Sexsucht und fehlende Arbeitsdisziplin klagt, den berühmteren Kollegen wie Tom Tykwer und Werner Schroeter den Erfolg neidet und 2008 einen neuen Lebensgefährten findet.

Axel Schock in: Hinnerk, 09/2009

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