Martin Schmitz Verlag

Krise der Repräsentation
Zukunft träumen: Das Buch "Fun Palace 200X" widmet sich einmal mehr dem Berliner Schlossplatz und dem Palast der Republik. Gesucht wird ein Weg aus dem Zementieren von Verhältnissen

Vor der Frage nach der Zukunft steht ein Rückblick: Nach dem Ende der nationalsozialistischen Tyrannis durchliefen die beiden Nachfolgestaaten, nicht ganz parallel, eine Periode des Biedermeiers. Mit dem Verschwinden der sozialistischen Variante des Biedermeiers als Staat, der DDR, ist auch das westdeutsche Biedermeier in eine Repräsentationskrise geraten. Spätestens auf den Schlachtfeldern des Kosovo ist die rot-grüne Synthese aus schönen Kleidern und Wissen-wo-man-gut-essen-geht zerfallen wie die preußisch-protestantische Synthese des Kaiserreichs in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs.
Am Ende des Ersten Weltkriegs stand Karl Liebknecht auf dem Balkon des vormals kaiserlichen Berliner Stadtschlosses und rief die sozialistische Republik aus, während der Kaiser mit Hofstab ins holländische Exil fuhr. Es ist nur logisch, dass Fotos von Liebknechts Balkonauftritt und dem im Auto abreisenden Kaiser den gerade erschienenen Band "Fun Palace 200X. Der Berliner Schlossplatz. Abriss, Neubau oder grüne Wiese?" einleiten. Der von Philipp Misselwitz, Hans Ulrich Obrist und Philipp Oswalt herausgegebene Reader versammelt Fotos, Texte, Interviews und architektonische Entwürfe, die sich um die Beiträge einer internationalen Konferenz gruppieren, die im Oktober 2004 im asbestsanierten ehemaligen Palast der Republik der DDR, dem Nachfolgegebäude des Berliner Stadtschlosses, stattfand.
Hintergrund und Anlass der Konferenz ist der einmütige Beschluss des Bundestages aus dem Jahr 2002, den Palast der Republik abzureißen und an der Stelle das alte, 1950 gesprengte Stadtschloss zumindest in Teilen wieder aufzubauen. Dass sich seit dem Beschluss des Bundestages auf dem Berliner Schlossplatz von offizieller staatsrepräsentativer Seite nicht viel beziehungsweise gar nichts getan hat, ist nicht nur ein Ausdruck der allgemeinen Finanzkrise - die Neugestaltung mit dem alten Schloss würde etwa eine Milliarde Euro kosten -, sondern der Krise der Repräsentation. Wenn sich heute zu Recht kaum noch jemand an die ellenlangen und ungezählten Texte erinnert, mit denen die Schlosswiederaufbau-Befürworter in den Feuilletons "der Stadt ihre Identität zurückgeben" wollten, wie der Schlossveteran Wilhelm von Boddien mal gesagt hat, dann heißt das zuerst, dass genau diese Identität niemand haben will beziehungsweise braucht. "Es fehlt der gewisse zündende Funke. … Die Gründe, die allgemein für den Wiederaufbau des Schlosses genannt wurden und die seinerzeit viel Zustimmung fanden, haben jene ansteckende Wirkung nicht entfalten können, um in den Alltag der Stadt auszustrahlen", resümierte Henning Ritter in der FAZ. Der Alltag reagierte lieber auf seine Weise.
Nach zähem Anfragen gelang es ein paar Leuten ohne staatstragenden Auftrag, den sinnlos leer stehenden Palast für eine Zwischennutzung zu öffnen. Dabei geschahen dann in den Mauern des jetzt zum Volkspalast umbenannten Gebäudes und auf dem Platz davor ein paar bisher dort nicht gehörte und gesehene Dinge. Weniger gelungene, wie eine Installation mit 104 Waschmaschinen auf dem Schlossplatz, und gelungene Projekte wie Fred Rubins zu einem Bronze-Glas-Pavillon transformierter Palast, trafen auf Leute, die sich im Schlauchboot durch den unter Wasser gesetzten Palast ziehen ließen. Und immer überwog dabei die angenehme Verbundenheit unter den versammelten Besuchern den Anlass. Man konnte sich im oder vor dem Volkspalast gut aufhalten.
Zu dieser Stimmung liefert das Buch "Fun Palace 200X" jetzt die Texte. Wobei Fun in diesem Kontext alles andere als beliebig heißt. Dafür steht schon Rem Koolhaas' Auseinandersetzung mit der Schlossplatzdebatte, die auch eine Kritik "der Selbstüberschätzung der Architekten" ist. Das Verhältnis von Geschichte, Politik, Architektur und Gesellschaft denken und dabei ein theoretisches Konzept entwickeln, das die Wirklichkeit aushält, könnte man Koolhaas' Anliegen auf eine Formel bringen. Das wird dann sehr schnell pragmatisch. Koolhaas geht durch den Palast und findet, "dass er für Theater, Performances, Kongresse oder Vorträge ein unglaublich geeigneter und verführerischer Ort ist".
Natürlich ist aber auch dieses Gutachten nicht zeitlos. Es geht weder Koolhaas noch den anderen Autoren im Buch um die Zementierung ewiger Orte und ewiger Repräsentation. Der Plan ist temporär und es erweist sich als großes Glück, dass Obrist et al. den 2003 verstorbenen englischen Architekten Cedric Price, der nichts mehr hasste als Beständigkeit in der Architektur, als Referenz in den Mittelpunkt von Buch und Diskussion stellen. "Als Architekt bin ich gegen Law and Order, geschaffen durch Angst und Elend", sagt Price im Interview mit Obrist. Fun Palace eben. Welcome to the pleasure dome, und wenn nicht hier, dann treffen wir uns in Afrika. In Afrika ist es nämlich möglich, alle Materialien wiederzuverwerten, wie der Architekt Jean-Philippe Vassal schreibt.

Cord Riechelmann in: die tageszweitung, 28.7.2005
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