Atomare Trampelpfade
Ein Kompendium erklärt, warum Godzilla mehr als eine stampfende Gummiechse ist
Als Roland Emmerich 1998 mit dem ersten und bislang einzigen amerikanischen "Godzilla"-Film in die Multiplexe stampfte und der üblichen Verrisse zum Trotz mal wieder ein Rekordergebnis einfuhr, da wurde sein Kollege George Lucas fast barsch. Nein, er werde sich den Film nicht anschauen, sagte der "Star Wars" - Regisseur. Er wolle sich doch nicht seine Kindheitserinnerungen ruinieren.
Jörg Buttgereit hatte mindestens ebenso viele Kindheitserinnerungen zu verlieren, aber weniger Hemmungen. Seit er vier ist, hat der deutsche Splatterregisseur jeden japanischen Monsterfilm angeschaut, den er finden konnte. Da ließ er auch Emmerichs "Godzilla" nicht aus. Es war nicht der einzige schlechte Monsterfilm, den Buttgereit gesehen hat. Das lässt sich nun in seinem definitiven Genre-Kompendium nachlesen.
"Japan - die Monsterinsei" ist eine dieser Fleißarbeiten, die von Überzeugungstätern zusammengestellt und mit Fanblut geschrieben werden. Eine chronologische Abhandlung jedes japanischen Monsterfilms. Begonnen mit dem schwarzweißen Ur-"Godzilla" von 1954, bis zum gerade in die japanischen Kinos kommenden "Gamera: Little Braves" haben sich Buttgereit und seine Gastautoren Dutzende von Monsterfilmen angeschaut und erläutern mit ihren Texten Schritt für Schritt die Bedeutung und Wandlung des Genres über die Jahrzehnte.
Nach und nach versteht man, wie Japaner in "Godzilla"-Filmen ihr Atombombentrauma verarbeiteten. Wie die Riesenechse von der Bedrohung Japans zum Verteidiger des Landes wurde. Warum Frankenstein in Japan nur sehr wenig mit seinem westlichen Bruder zu tun hat. Und warum sich kaum ein Japaner offen als Godzillafan outet, während die Monster in den 60er Jahren im Westen einer ganzen Generation als Outsider-Projektionsfläche dienten.
Durch ergänzende Interviews mit Darstellern (tatsächlich wird Godzilla in Japan bis heute von Menschen in Gummikostümen gespielt), Regisseuren und Enthusiasten glücken Buttgereit so gleichzeitig ein nutzwertiger DVD-Guide wie auch eine Kulturgeschichte im Kleinen. Und nebenher wird natürlich auch Emmerichs Riesenechsen-Machwerk auseinander genommen.
Einmal alles niedertrampeln
Warum es in Berlin keine Monster gibt: Horrorfilm-Regisseur Jörg Buttgereit über sein Japan-Buch
Herr Buttgereit, Sie sind 42 Jahre alt und immer noch Fan japanischer Monsterfilme. Sind Sie nicht raus aus dem Alter?
Ich bin mit diesen Filmen aufgewachsen. Bin ja schon mit vier Jahren ins Kino, hier in Schöneberg, ins Odeon, jeden Sonntag um 14 Uhr zur Jugendvorstellung. Damals, als Kinder, haben wir uns noch vor Godzilla gegruselt. Aber wir verstanden nicht, warum die Menschen in den Filmen Schlitzaugen hatten und sich die Schuhe auszogen, wenn sie ein Haus betraten. Als die Japaner in den Neunzigern dann wieder Godzilla-Filme drehten, war ich hingerissen. Die drehten nicht digital. Nein, da steckte immer noch ein Mann im Gummikostüm und trampelte auf einem Modell von Tokio herum.
Und Sie haben einen Führer durch das japanische Monsterfilmgenre geschrieben.
Schon kurios, dass ein Berliner das machen musste. Aber den Japanern sind die Filme peinlich. In Wirklichkeit rühren sie an ihre nationalen Traumata. Godzilla von 1954 war eine Metapher für die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Godzilla wird da durch die amerikanischen Atombombentests im Pazifik aus seinem Tiefschlaf geweckt, watet nach Japan und zerstört Tokio. Doch die Japaner besiegen ihn mit einer Wunderwaffe, die noch schrecklicher ist als die Atombombe. Deshalb zerstören sie klug wie sie sind die Baupläne der Waffe.
Godzilla ist halb Dinosaurier, halb Drache, bewegt sich wie ein Mensch und spuckt einen radioaktiven Feuerstrahl. Was ist er denn nun?
Das weiß keiner. Er ähnelt einem Tyrannosaurus Rex, hat aber Menschenarme, weil ein Stuntmen im Kostüm steckte. Und sein japanischer Name Gojira setzt sich aus den japanischen Worten für Gorilla und Wal zusammen.
Mit der Zeit wandelt Godzilla sich zum Verteidiger Japans. Wie wurde aus dem bösen ein gutes Monster?
Zunächst einmal bedeutet der japanische Begriff ,Kaiju‘ nicht Monster, sondern großes Wesen. Godzillas Wandlung beginnt, als die Produktionsfirma Toho merkt, dass die Kinder mit Godzilla sympathisieren. Also stellen sie ihn freundlich dar. Als dann Außerirdische Japan bedrohen, solidarisiert sich Godzilla mit den Menschen. In einigen der 28 Filme erledigt Godzilla sogar Aufgaben wie Müllbeseitigung, oder er kämpft gegen ein Smogmonster. Es werden reale Bedrohungen verhandelt. Erst die atomare, dann die Angst vor der Umweltverschmutzung.
Aber als die Godzilla-Reihe wieder aufgelegt wurde, hatten diese Bedrohungen ihren Schrecken verloren.
Daher wird Godzilla in den Neunzigerjahren zu einem Synonym für Naturkatastrophen wie Taifune und Erdbeben. Die Japaner behandeln ihn wie einen, mit dem man auskommen muss. Godzilla ist die Micky Maus Japans geworden.
Aktuelle Ängste werden eher von Selbstmordattentätern ausgelöst.
Die Japaner reagieren hilflos auf diese Gefahr. Die Produktionsfirma Toho hat gerade einen zehnjährigen Produktionsstopp angekündigt, weil die letzten Godzilla-Filme nicht gut ankamen. Der tatsächliche Schrecken sind die Menschen selbst geworden. Der Monsterfilm wirkt vor diesem Hintergrund wie die Flucht in eine heile Welt. Godzilla wird zwar auf Tokio herumtrampeln. Aber er ist berechenbar und kann gebändigt werden.
Warum trampelt denn nie ein Monster auf Berlin herum?
Weil hier keine Naturkatastrophen passieren, und uns nie etwas so Gewaltiges wie eine Atombombe auf den Kopf gefallen ist. Wir suchen das Grauen in uns selbst, weil wir ein latent schlechtes Gewissen wegen des Holocausts haben. In Deutschland werden Filme über den Kannibalen von Rothenburg gemacht. Das hat Tradition. Wir mögen bösartige Psychomonster wie Nosferatu, die Japaner gutmütige Riesenmonster wie Godzilla.
Viele Filmkritiker halten die japanischen Filme wegen ihrer Machart schlicht für Trash.
Das zeugt von Unkenntnis der japanischen Auffassungen von Ästhetik. Kennen Sie das No-Theater? Während der Aufführungen werden dort Kulissen auf die Bühne geschoben. Aufgrund ihrer kulturellen Vorgeschichte akzeptieren die Japaner viel eher Filme, die ihre Machart nicht verschweigen.
Aber müssen sie so hölzern wirken?
Das nehmen wir wegen unserer amerikanisierten Sehgewohnheiten so wahr. In Japan ist das teilweise noch anders. Dort empfindet man Künstlichkeit als etwas Schönes und hält das Realistische für langweilig. Godzilla wird bis heute von Menschen gespielt, die sich nicht wie Dinosaurier bewegen. Sie haben aber interpretatorische Freiheit und können auf dem Set zerstören, was sie wollen. Und sie werden von echten Miniatur-Raketen beschossen. Wegen dieser Strapazen kippten früher selbst trainierte Stuntmen im Godzilla-Kostüm einfach um.
Das konnte in Roland Emmerichs Adaption von 1998 nicht passieren.
Der Film ist seelenlos. Alles ist am Computer entstanden. Emmerich ignoriert die Tradition des Monsters. Der Film verhöhnt Godzilla.
Interview Philipp Lichterbeck in:
Der Tagesspiegel vom 5. 3. 2006
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Monster der Aufklärung
Glasklare Analysen kollektiver Visionen von Jörg Buttgereit und Freunden
Für den Neurotiker, sagt Freud, ist das Wiederholen seine Art des Erinnerns. Godzilla, so die Legende, ist Japans Art, das Trauma der Atombombe zu bewältigen. Die einstmalige Bedrohung kehrt gezähmt als Helfer zurück." Soweit Franz Rodenkirchens extrem kompakte Zusammenfassung im Buch Japan, die Monsterinsel aus dem Kapitel „Frankensteins Kampf gegen die Teufelsmonster". Das Buch ist gegliedert in drei Teile. Teil 1 heißt „Godzilla", Teil 2 „Gamera" und Teil 3 „Guila, Gappa, Furankenshutain und Kingu Kongu". Daran schließt sich noch ein Filmindex und eine Autorenliste an. Gründlich informieren können soll sich der an japanischen Monsterfilmen interessierte Leser und nicht langweilen. Und so gibt Jörg Buttgereit (bekannt als Filme- und Hörspielmacher: Nekromantik, Der Todesking oder Captain Berlin versus Dracula) neben seinen ausführlichen Filmbesprechungen, die jeden (!) in Deutschland erschienenen japanischen Monsterfilm chronologisch abhandeln, noch mehr als ein Dutzend selbstgeführte Interviews plus 18 Filmbesprechungen von Co-Autoren (Freunden) sowie DVD-Tips bei.
Ein Buch nur für Fans des Genres? Weit gefehlt. Selbst denjenigen Menschen, denen sich noch nie im Leben ein japanisches Monster zeigte, denen der Name Godzilla ? Japaner sagen Gojira ? noch niemals zu Ohren kam, sei diese Anthologie mit den Monster-Texten empfohlen. Das Ziel, das sich Buttgereit hier gesteckt hat, ist die systematische Heranführung an ein Filmgenre, das zwar populär ist, dem über profane Unterhaltung hinaus aber gemeinhin keine Relevanz zugesprochen wird. Nein, Monsterfilme machen Spaß ? während sie gleichzeitig unaufgearbeitete gesellschaftliche wie private Diskussionsbedürfnisse befriedigen. Fragen tauchen auf, ob die spezifisch japanische „Monster-Kultur" vielleicht dafür steht, daß viele Japaner den letzten Weltkrieg mit den Atomangriffen als „Naturkatastrophe" begreifen und Monster die Überlegenheit der Natur verkörpern, wodurch Minderwertigkeitsgefühle durch die Kriegsniederlage gemildert werden konnten.
Der in Deutschland bekannteste Charakter unter den Japan-Monstern dürfte unangefochten Godzilla sein. Sein Aussehen, das sehr in Richtung Tyrannosaurus Rex geht, macht die erste Annäherung bzw. das Wiedererkennen für Europäer oder Amerikaner leicht. Weniger leicht zu verstehen ist das Schauspiel und die Inszenierung der Filme, wie sie die Japaner mögen. Das heißt, in Japan hat sich ein besonderes Verständnis für die Darstellung von Szenen und Charakteren im Film herausgebildet. Aber auch das No-Theater (wo während der Aufführung Kulissen auf der Bühne verschoben werden) oder das Kabuki-Theater (wo alle Rollen von Männern gespielt werden) erscheinen uns im Westen zunächst eher fremd. Adjektive wie „kindlich", „naiv" oder „billig" würden das, was in den Filmen gezeigt wird ? und wie es inszeniert wurde ? am ehesten treffen, wenn man die westlichen Sehgewohnheiten als Grundlage nähme. „Ein Großteil des Publikums der Vereinigten Staaten will Spezialeffekte sehen, die es aus 100 Millionen Dollar teuren Produktionen kennt. Ein Godzilla-Film kostet aber nur 10-12 Millionen Dollar", umschreibt J.D. Lees, Herausgeber des Monster-Magazins G-Fan (von Beruf Grundschullehrer) im Interview die Problematik.
Japanische Mythenwesen und die Lesart japanischer Schauspielinszenierung müßten also erst einmal als durchaus beabsichtigt verstanden werden, damit man sie genießen kann. „Glauben Sie mir, eigentlich fängt der Spaß erst an, wenn man sich in die Materie des ,Kaiju Eiga' (des Monster-Films, A.d.A.) vertieft", sagt Buttgereit im Einleitungstext. Und was man schaut, wenn man sich als Einsteiger eine „perfekte Fassung mit englischem und japanischem Ton" von der 1971er Produktion Frankensteins Monster jagen Godzillas Sohn besorgen konnte, das beschreibt Co-Autor Olaf Möller so: „In einer Einstellung sieht man Menschen über eine Lichtung gehen, sie hören etwas, schauen nach oben. Ein brennendes Heuschreckenkörperteil fliegt über sie hinweg und landet irgendwo außerhalb des Bildes. Der Mensch kann nur staunen, zu gewaltig ist das Bild."
Dieses Buch macht Spaß ? und ich werde mit der Zeit neugierig auf so einen lehrreichen Trivialfilm wie z.B. Godzilla ? Frankensteins Kampf gegen das Teufelsmonster von 1971, mit dem ? laut Buttgereit ? sogar der katholische Filmdienst etwas anfangen konnte, weil er von Umweltverschmutzung und Industrialisierung handelt. Der Film wurde in ein Buch mit dem Titel The Fifty Worst Films of All Times aufgenommen, und Buttgereit befragt den Regisseur Yoshimitsu Banno (in den Fünfzigern Regieassistent bei Akira Kurosawa) zu diesem Sachverhalt. Dessen Antwort ist so entwaffnend wie selbstbewußt: „Ich bin sehr stolz, zusammen mit Filmen wie Letzes Jahr in Marienbad und Iwan der Schreckliche als einer der fünzig schlechtesten Filme nominiert worden zu sein."
Daß es genialen Trash geben kann, das verstehen viele Menschen manchmal nicht richtig. Daher braucht es Bücher wie die Monsterinsel. Und beileibe nicht alle Kaiju Eiga lassen die genauen Begutachter als guten Trash durchgehen. Es hagelt zornige Kritik, wenn sich die Macher nicht mit der gebührenden Hingabe an ihr Werk gemacht haben oder dreist klauen, ohne etwas wirklich Originelles zuzutun. Noch weitere Monster werden behandelt, von denen die als menschenfreundliches Gegenstück zu Godzilla entworfene Gamera, eine (atomare) Riesenschildkröte, die populärste sein dürfte. Besonders Kinder lieben Gamera, da ihre Geschichten bei weitem märchenhafter und phantasievoller sind als die mit Godzilla. Fast immer von einem Schauspieler verkörpert, treten Geschöpfe wie King Kong, Rodan, ein Flugsaurier, Mothra, die Riesenmotte, menschengroße Seesterne aus dem All, unsichtbare Monster, der Flüssigmensch, ein Riesenwaran usw. auf. Im Gegensatz zu amerikanischen Gruselschockern soll und muß sich kein Mensch vor Japan-Monsterfilmen fürchten, denn sie helfen immer den Guten und beschützen sie. Buttgereit zitiert dazu Stuart Galbraith, der 1994 ebenfalls ein Buch zu Japan-SF, -Fantasy und -Horrorfilmen veröffentlichte: „If I wanted the real world, I'd watch a Frederick Wiseman movie."
Und dessen Filme sind auch unbedingt zu empfehlen!
Jörg Gruneberg in: Scheinschlag Berlin, 03/2006
Japan - The Monsterisland or: everything you’ve always wanted to know about Godzilla & Co but were afraid to ask.
In between directing the first musical about the Ramones in Berlin, developing new radio plays for Germany’s WDR and being in the jury of renowned film festivals, notorious Berlin filmmaker Jörg Buttgereit went to Japan in order to do some serious research for his new book about the love of a lifetime, Japanese monster movies that is. Lodown had a chance to do a little G-talk with the man behind ‘Nekromantik’ on another grey afternoon in a never ending winter.
Would you say that your affinity to Japan is the result of watching Godzilla matinée's at a very early age?
There sure is a connection... after all it was my first encounter with Japan, right? I clearly remember going to the movies with my dad and my grandfather. (laughs) They hated these kind of movies, especially my grandfather thought that this was the biggest piece of crap he’d ever seen. But it wasn’t a Godzilla flick, it was a Gamera one, actually. Shigeo Tanaka was directing it in 1966... and what a beautiful job he did. Back then they named it ‘Godzilla-Der Drache Aus Dem Dschungel’... (laughs) and after they’d realized that there isn’t one single second of Godzilla in this movie, the German distributor changed the title to ‘Panik - Dinosaurier Bedrohen Die Welt’. By now you can get it as a flashy DVD for 4.99. The same film is now named ‘Dragon Wars’ and for whatever reason there are stills from a Godzilla movie from 1994 on the cover. Quite an odyssey for one movie, right? It’s just unbelievable how the German companies messed around with the titles... on the other hand you almost have to respect so much creativity. Later, they even taglined some Japanese monster movies ‘Frankensteins Dämonen Bedrohen Die Welt’ or ‘Frankensteins Kampf Der Ungeheuer’... that actually hasn’t anything to do with the movie itself, but who gives a shit.
I remember these matinée’s as well. The first one I saw was ‘King Kong vs Godzilla’... as a little kid I was heavily impressed by it, even though it left me a little confused as well. I was always waiting for King Kong to appear in the action.
Yep, that was quite bizarre to name the robot ‘King Kong’, especially since we are clearly dealing with Mecha-Godzilla here... this film in particular is quite confusing and irritating for a kid. Remember that fantastic ‘Planet Of The Apes’ rip-off in the same movie? There are these aliens, right, the ones that live beyond the ‘Pferdekopfnebel’... (laughs) the Japanese just bought a dozen of a very popular American Halloween mask and used them to ‘create’ their aliens. These masks were easily available from every ‘Famous Monsters’ store back then... that’s pretty mad, isn’t it? There’s this website, I think it’s ‘tokyo-monsters.com’, and there you can find loads of pics from Japanese DVD’s and stuff... (laughs) and there you’ll find lots and lots of pics of this guy in a silver battlesuit wearing this notorious mask, and he’s making lots of stupid karate moves. It’s hilarious. I’m still asking myself if they were actually aware of what they’re doing back then or if they were completely clueless. I was talking to Noriyaki Yuasa, the guy who directed lots of Gamera movies in the late 60’s/early 70’s, and he told me that retrospectively, he’s quite impressed by the level of naivety of everyone involved. It always seemed as if the filmmakers just started to think about the movie a few hours before the first take. ‘Wow, we’re making a monster movie... dammit, that could be quite complicated’.
Personally, what do you find most fascinating about these kinda movies? The naivety? The level of innocence?
I’m heavily fascinated by the fact that they haven’t changed the concept over so many years... it’s still a guy in a rubbersuit. Remember Roland Emmerich’s take on Godzilla for the US and how he tried to avoid any kind of artificial look? It’s the exact opposite of what Japanese monster movies are all about... over there, they don’t have the slightest problem with artificiality.
Would you say that you’re fascinated by the imperfection of these movies as well?
That’s a major misunderstanding... these movies are absolutely perfect! It’s just a completely different way of filmmaking. Things aren’t supposed to look real or true-to-life, they just have to look beautiful. And a miniature version of a certain landscape very often looks more beautiful than the real thing... it’s all a question of aesthetics. If you think about it, you will agree that in the very majority of living-rooms, you won’t find big prints of photographs on the wall... it’s more likely to find paintings that somehow copy reality. The traditional Japanese theatre is very artificial as well... so it’s a cultural-historic thing, right?
After the success of the first Godzilla movie, more and more monsters were developed... was that done because of commercial aspects only?
Sure. The second Godzilla movie already had an extra monster named ‘Angilas’... and it was a successful movie. I think you could say that Japanese film companies are fundamentally getting active only when there's money involved... pretty unromantic, isn’t it? I experienced that when I was making the documentary on Japanese monster flicks, when I was making interviews for the book. When I first addressed to them, there was no interest from their side at all, simply because there wasn’t any big money involved. Just after it became clear that the WDR (German regional television station) is buying bits and pieces for the documentary, I was allowed to talk to certain people. (laughs) At first, they wanted me to pay for the interviews as well... fucking unbelievable. If I had taken some photographs on the set, I had to pay for them as well. If I had filmed some stuff on set, it would have cost me $2.500 per minute. For stuff I would have shot myself! I recently talked to this German guy who’s distributing the films of Akira Kurosawa over here... Kurosawa’s movies as well as the Godzilla movies are owned by Toho. Besides the movies, all he got was two stills per movie, for all the other things he had to pay some serious extra cash. And I always thought that as soon as you buy a movie, you get everything you need to advertise and promote it for free. Well, not in this case. (laughs) There is this great story about a German Godzilla fan that was writing a letter to Toho where he expressed his love and admiration for the movies... he wrote it on selfmade Godzilla note paper. As a result he got a dissuasion for using a protected trademark. That’s fucking crazy, but that’s how they roll. In my book I had to mention as well that nothing is authorized from Toho... and that’s why there isn’t a single still from the original movies but magazine covers, pics I shot myself and advertising stuff. I learned how to be careful after I made the documentary for WDR in 2002... you have no idea about the legal string that followed after the broadcast. Everyone was really happy about the documentary but broadcasting it for a second time is absolutely taboo because it would be too expensive. Doing business with them is as hard as nails, man. When I was finally invited to visit Toho’s studios, I was meeting this producer... and the first thing he said to me was ‘Germany... there are so many Godzilla bootlegs in Germany’. It’s not about that he’s happy that I was coming all the way from Germany to do a couple of interviews.
Isn’t that super frustrating... you’re very enthusiastic and having best intentions because you’re doing a documentary and a book and all you get is business talk?
It certainly is... but I really wanted to do the film and the book. But I soon figured out that almost everyone who has to work with a certain type of international sales manager isn't too happy with this situation... so I wasn’t the only one. Whenever I was meeting someone privately, especially after they were released from their contract with Toho, getting an interview wasn’t a problem at all. Even the guy who’s building the Godzilla-suits told me that it’s a petty that I arranged the interview through Toho, because now he’s just allowed to talk for fifteen minutes. That’s really sick, right?! When I tried to get an interview with Haruo Nakajima, the guy who’s playing Godzilla from 1954-1972, through Toho, they just told me that he’s not working for them anymore and that they are not giving me his details. Of course not, because they won’t earn a single penny from doing so. So I found the majority of people either by myself or through other fans... and you can easily tell that the Godzilla-community is pretty pissed off about Toho’s behavior. Here’s another anecdote: there’s this convention in Chicago and they would’ve loved to screen a Godzilla movie or two... once again, Toho wasn’t interested because there’s no money to be made from. So they said, alright, no problem, you could do one single screening but it costs you guys a four-digit number of US dollars. As far as the figures go you just can’t do that, of course. But the convention was getting bigger over the years and all of a sudden it was possible to do a screening and Toho had to deliver the movie. I was there and it was really fun to sit in an old theatre with 1000 other fans and watch an old Godzilla classic. (laughs) It’s also quite an experience to literally hear the dollars dropping while the film projector clatters.
I got a lot of addresses in Japan through the publisher of ‘G-Fan’ as well. A couple of years ago, this magazine was doing a little competition... something like ‘Draw Your Own Godzilla Comic’, and the best ones are getting printed and stuff. As you probably already have guessed, there was a letter from Toho coming, talking about license fee’s. As a result there were three pages of monster comics without Godzilla in a Godzilla fanzine. It was a relief to see that not everyone is like that... the studio and directors that were responsible for the Gamera films were super cooperative and really friendly. Visiting the studios and doing interviews wasn’t a problem at all. Ten minutes of snippets and trailers that I used for the documentary were as expensive as one minute of material from Toho. Plus I got lots of Gamera dolls and autographs from the director and stuff.
Is it actually true that Godzilla loves to destroy miniature buildings from a certain real life architect?
(laughs) I’m not really sure about that. I once talked to a guy that played several monsters in his career and he told me that he’s more into accidently destruction... as if the monster was at the wrong place at the wrong time and not this larger than life aggressor. I think it’s because nowadays the monster genre changed from being a h-bomb metaphor to being a metaphor for natural disasters.
How long have you actually worked on the book?
Phew, that’s hard to tell. I think I did the first interviews in 1998/99 in Montreal... whenever I was visiting film festivals and knew that there are people invited that were or are still involved in making monster movies, I was doing interviews. It’s always easier to talk to these guys at festivals... (laughs) because they got already paid to be there. I was making an interview with Jan DeBont when he’s promoting the so-so ‘The Haunting’. But since I knew that he was originally supposed to direct the American Godzilla movie, we were mainly talking about that instead.
I find it pretty fascinating that the Japanese monster movies are heavily entertaining, but the studios on the other hand seem to suffer from a lack of humor... it’s a bit like Disney, I think. I don’t know, maybe they are still a little pissed off about the fact that Leo Kirch was owning the rights on about fifteen movies... therefore they never saw any big money when these films were screened on television, I assume.
Let's talk a bit about your 8th radio play that has its grande premiere really soon. What is it all about?
It’s called ‘Captain Berlin vs Dracula’ and it’s about... well, in 1973 Adolf Hitler’s brain is transplanted into a robot. He’s trying to get behind the secret of eternal life and so he’s teaming up with Dracula because this guy obviously already knows about it. But Dracula is from an Iron Curtain country and so they’re having some differences. Anyway, then there’s our hero Captain Berlin who was born in 1933 as the secret weapon of the resistance movement against national socialism. He’s living incognito but got sucked into the story because Dracula is kidnapping his virgin daughter. It’s almost an installment of the Captain Berlin film I was doing in 1982. It’s fairly bizarre... so I guess I gave the WDR a hard time once again. But after it became clear that Bela B. (from Germany's mega-selling band 'Die Ärzte') is playing Dracula, it wasn't too hard to get their ok anymore.
Blick zurück im Buch
"Nekromantik": Jörg Buttgereits Splatterfilm feiert in Berlin seinen zwanzigsten Geburtstag
FREITAGABEND. Der Jörg war da, der Martin und der Manfred, die Beatrice, die Daniela und viele andere sowieso. Sie sind etwas in die Jahre gekommen und freuen sich nun auf der Bühne des Berliner HAU 2, dem Hebbeltheater am Ufer an der Möckernbrücke, über den begeisterten Applaus. Nach einer guten Stunde Film und Musik Freude auch darüber, dass die Zeit nicht ganz über einen hinweggegangen ist.
Als man in den achtziger Jahren mit Adoleszenzfragen kämpfte, war hüben und drüben eh nicht klar, ob man überhaupt noch etwas zu erleben hatte. Der "Dschungel" war out, der "Damaschke Night Club" war dicht. Da kamen im Westen nur noch Kickern im "Ex'n'Pop", ein Gig der Tödlichen Doris oder ein Film von Jörg Buttgereit im Xenon in Frage. Es gab ja einige, die spätestens nach dem Standseilakt von Solveig Dommartin und Bruno Ganz im "Himmel über Berlin" Wim Wenders nicht mehr ertragen konnten. Die freuten sich dann beim Beck's über die Stunts in Buttgereits "Captain Berlin - Retter der Welt", bereits 1982 vor dem lCC gedreht, oder eben über den hübschen Splatter-Trash in "Nekromantik", den man zwanzig Jahre nach der Uraufführung wieder feiern konnte.
Was Ende der achtziger Jahre die Staatsanwaltschaft auf den Plan rief - Jörg Buttgereits "Nekromantik" wurde zunächst verboten -, regt heute keinen mehr richtig auf. Wo Hardcore-Pornographie oder Greuelbilder von Kriegs- und Anschlagsopfern jederzeit im Internet abrufbar sind, wirken Buttgereits Bilder und Plots - Bruno sammelt Leichen, Betty und Bruno treiben es damit - inzwischen auf jeden eher liebevoll und in jedem Fall clever gemacht. "Nekromantik" reflektiert das Horrorfllm-Genre in Bildern und Schnitt ironisch. Dazu trug nun auch ein einmaliges Setting bei: Ein Quartett aus Schagzeug, Synthesizer, elektronisch verstärkten Gitarren und Theremin spielte die Filmmusik neu ein. Das alles war jenseits einer Alte-Kameraden-Seligkeit richtig schön. Und danach gab es ein schönes, kluges Buch zum Film zu kaufen und natürlich Party, Beck's und die erste Zigarette im Lokal.
Unter die Haut und ins Hirn
Früher beschlagnahmt und verboten, heute Thema eines Sammelbands: Die Nekromantik-Fime von Jörg Buttgereit
Kaum ein Film geht immer noch so unter die Haut wie "Nekromantik" von Jörg Buttgereit, der 1987 - also exakt vor 20 Jahren - in die Kinos kam. Zu diesem Jubiläum und über "Nekromantik 2" von 1991 ist nun eine Anthropologie in deutscher und englischer Sprache erschienen, die das wahre Ausmaß dieser Filme belegt; denn sie gehen auch in jedes Hirn.
Die beiden Filme von Jörg Buttgereit gehören zu den umstrittesten Werken des zeitgenössischen Kinos. Wurden die auf Schmalfilm gedrehten Kinofilme zunächst als Splatterstreifen landesweit beschlagnahmt und staatsanwaltlich verboten, zählen sie heute zu den bedeutenden Werken der Filmkunst.
Versteht man zunächst einmal, dass Regisseure wie Jörg Buttgereit Leichen und abgehackte Beine gebastelt haben wie andere ihre Modelleisenbahnen, dann ist der Blick - es ist ja nur Film - frei ...
Genau diesen Schritt haben alle sechs Beiträge in diesem Buch getan. Ihre Interpretationen reichen von den Anfängen der Filmgeschichte bis in unsere heutige Gesellschaft mit ihren Tabus, Möglichkeiten und Fehlern.
Die britische Fimwissenschaftlerin Dr. Linnie Blake von der Universität Manchester, die an einem Buch arbeitet, in dem sie die Artikulierung nationalspezifischer Traumata vom Holocaust bis Hiroshima, Vietnam bis zum Thatcherismus im Horrorkino untersucht, kommt hier zu dem Schluß, dass Jörg Buttgreit an den jungen kritischen Film der 60er Jahre anknüpft, der sogenannten Verdrängungs- und Aufarbeitungszeit nach dem 2. Weltkrieg, aber ebenso wieder den Bezug zum Filmschaffen der 20er Jahre herstellt und den Umgang der mörderischen Nazidiktatur mit dem Medium Film reflektiert.
Für dieses Buch scheint jetzt die Zeit reif zu sein und es ist so wichtig wie die Filme selbst.
Sybille Fuchs in: Junge Welt literatur vom 10.10.2007
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Man mag von Buttgereits filmischem Schaffen halten, was man mag, kalt lässt es sicherlich keinen. Diese Einschätzung zieht sich auch als Grundtenor durch die sechs Texte des vom unumstritten umstrittenen Meister des deutschen Horrorfilms nach 1945 herausgegebenen Buchs zum zwanzigjährigen Jubiläum seines ersten Langfilms.
Die einzelnen Autoren nähern sich Buttgereits Ouevre auf unterschiedliche Weise. Der ehemalige Totengräber Johannes Schönherr unterzieht NEKROMANTIK einer Realitätsprüfung anhand der eigenen Berufserfahrung, die britische Filmwissenschaftlerin Linnie Blake verweist auf die "Leichen im Keller der Deutschen", wohingegen ihr deutscher Kollege Marcus Stiglegger und Claus Löser gewissermaßen aus der Innenperspektive im Film eine Zustandsbeschreibung der Befindlichkeiten im damals noch geteilten Berlin sehen, bzw. nach der Wiedervereinigung aus dem Osten kommend die befreiende Wirkung, die mit dem ersten Sehen einherging, beschreiben. Jeder Text erzielt diese Annäherung, ohne zu akademisch zu werden, und stellt auf nachvollziehbare Weise die Bedeutung von Buttgereits Filmen für das deutsche (Underground-) Kino des ausgehenden 20. Jahrhunderts heraus. Das Taschenbuch im Paperback, dessen Umschlaggestaltung und zahlreiche Abbildungen verständnislose Blicke in Bus oder Bahn auf den Leser ziehen dürften, hat einen besonderen Clou: Es ist zweisprachig angelegt, so dass man durch zweifaches Drehen in der Horizontalen und Vertikalen die versammelten Beiträge wahlweise in Deutsch oder Englisch lesen kann.
Ein für die Beschäftigung mit Buttgereit unerlässliches Buch, das wie seine Filme wohl nur einem aufgeschlossenen Publikum in die Hände fallen wird, aber sehr lesenswert und inspiriert die unterschiedlichen Erfahrungen mit und Herangehensweisen an ein zumindest literarisch weitgehend noch unerschlossenes Stück Filmgeschichte beschreibt. Kurzum: ein Stück Pionierarbeit, auch zur Vertiefung nach der Lektüre von Amos Vogels FILM ALS SUBVERSIVE KUNST in Betracht zuziehen.
Boris Klemkow in: Deadline - Das Filmmagazin, 06/2007
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20 Jahre sind seit der Entstehung von Jörg Buttgereits Film "Nekromantik" vergangen - 20 Jahre, die dem mit simplen Mitteln und minimalem Script umgesetzten Werk eine erstaunliche Entwicklung beschert haben. Zunächst als pornographisches Schmuddel-Filmchen verurteilt, später mit Auszeichnungen bedacht und schließlich sogar zum Kunstfilm avanciert, zählt "Nekromantik" heute zu den wichtigsten Horror-Filmen seiner Zeit.
Das Interessante am 1987 entstandenen Werk ist aber, dass sich der Film auf unterschiedliche Weise interpretieren lässt und jedem Zuschauer ein anderes filmisches Erlebnis bietet. Sechs dieser Erlebnisse finden sich im vorliegenden Buch in deutscher und englischer Sparche wieder. Christian Keßler, Johannes Schönherr, CIaus Löser und andere erzählen über ihre erste Berührung mit dem Thema und liefern sowohl Interpretationen als auch Anekdoten. Dies erfolgt mal in belustigender Form (Johannes Schönherr erzählt von seiner danaligen Tätigkeit als Totengräber auf einem Leipziger Friedhof), mal in intellektuell verklausulierter Art und Weise, wenn beispielsweise von der "idiosynkratischen Neubelebung der deutschen romantischen Tradition durch die Unterbrechung linearer Zeitlichkeit" die Rede ist. Und da wären wir auch schon beim einzigen Manko des Buches, nämlich dass es ausnahmslos Akademiker sind, die hier zu Worte kommen und eben nicht Prominente, Fans, die Darsteller des Films oder gar Jörg Buttgereit selbst. Auch eine Dokumentation der Reaktionen auf den Film, witzige Film-Kritiken oder gar Schreiben von staatlicher Seite sucht man im Buch vergebens. Doch auch die gewählte Form der Dokumentation hat einige durchaus interessante Aspekte zu bieten und wird dem geneigten Film-Fan sicherlich einige Aha-Erlebnisse bescheren.
Marcus Menhold in: Virus 20
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Kein Quickie mit Leichen
Vor 20 Jahren erschien »Nekromantik«. Ein Buch würdigt nun noch einmal Jörg Buttgereits radikalen Film über den safen, aber dennoch verunsichernden Sex mit einem Toten.
»Hin und wieder treffe ich Jörg Buttgereit bei Pressevorführungen aktueller Horrorfilme. Wir sitzen dann meist im Filmpalast nebeneinander in der vierten oder fünften Reihe, nehmen immer die gleiche Parade von Blut und anderen Körperflüssigkeiten ab, raunen uns hin und wieder Kommentare zu. Das alles bedeutet nichts mehr. Alle Schlachten sind bereits geschlagen«, schreibt der Filmwissenschaftler Claus Löser. Die Sätze klingen resignativ. Wer den Film »Nekromantik« kennt und ihn mit erfolgreichen Produktionen der vergangenen Jahre wie »Saw« oder eben »Hostel« vergleicht, wird Lösers Aussage zustimmen. Er trifft sie in dem ebenfalls als »Nekromantik« betitelten Buch, das zum 20. Jubiläum der Veröffentlichung von Jörg Buttgereits Film erscheint.
In der Tat: In »Saw« erteilt ein krebskranker Psychopath seinen Opfern blutige Lektionen. In »Hostel« lebt der gelangweilte Jet Set seine sadistischen Gelüste an jungen Rucksacktouristen aus. Auf der einen Seite stehen die Guten. Auf der anderen Seite befinden sich die Bösen, sie sind entweder unendlich krank oder unendlich reich. Mit uns, den Zuschauern, haben sie jedenfalls nichts zu tun.
Robert Schmadtke, die von Daktari Lorenz gespielte Hauptfigur in »Nekromantik«, ist dagegen ein schmächtiger, unauffälliger, junger Mann. Er lebt mit seiner Freundin in einer kleinen Wohnung in Berlin. Er geht einer täglichen Arbeit nach. Er ginge als völlig »normal« durch, teilte er sich nicht mit seiner Freundin die Neigung zur Nekrophilie, die dazu führt, dass Schmadtke im Verlauf der Handlung zum Mörder und Selbstmörder wird.
Doch selbst dieser zugegebenermaßen recht ausgefallene Fetischismus wird nicht als das absolute Gegenprinzip zu gängigeren menschlichen Verhaltensweisen inszeniert. Die Ménage à trois, die Robert Schmadtke, seine Freundin und eine halbverweste Leiche für kurze Zeit eingehen, hat Jörg Buttgereit in ästhetisierten, zärtlichen Bildern festgehalten. Sie zeigen keine perversen Monster, sondern Menschen, die unter enttäuschter, unerfüllter Liebe leiden. Und dieses Leiden hat der Leichenfetischist mit dem Sockenfetischisten und vielen anderen Personen gemein.
Und überhaupt, wer ist hier »normal« oder »unnormal«? Schmadtkes Kollegen bei der Firma für Reinigungsarbeiten an Unfallorten betrachten die Toten lediglich als Fleischmüll. Die Hauptfigur hat sich in ihrer extremen Neigung eine Sensibilität für die Körper bewahrt, die einmal von Leben erfüllt waren. In »Nekromantik« ist vor allem der Zuschauer gefragt: Er kann sich vor Schmadtke ekeln. Er kann Mitgefühl für die Figur empfinden. Höchstwahrscheinlich wird er sich aber nicht vollständig auf die eine oder auf die andere Seite schlagen können.
So bleibt der Betrachter irritiert und hin- und hergerissen zurück. Der Schauspieler, Filmkritiker und ehemalige Staatsanwalt Dietrich Kuhlbrodt macht in seinem Beitrag für das Buch zum Jubiläum eine »verwirrende Ambivalenz« als qualitatives Merkmal von »Nekromantik« aus. Diese Stärke beschränkt sich nicht auf die Psychologie der Charaktere. So schreibt Kuhlbrodt: »Auf der Kippe zwischen künstlerischem Anspruch und geiler Exploitation. Sensationell war es, sich an einer Leiche zu befriedigen. Ein Kunstwerk war es, die Verwirrung, die Isolation und die Befreiungsversuche verwirrter junger Leute in Bilder zu fassen.«
Freilich verprellte die Ambivalenz viele Zuschauer, unter anderem auch einen nicht geringen Teil der Splatter-Fans. Als der Journalist Christian Keßler »Nekromantik« zum ersten Mal sah, war er 20 Jahre alt und Mitglied in einem Fanclub für Horrorfilme. Das Erlebnis beschreibt er im Buch so: »Mit großen Erwartungen guckten wir uns das Werk also an und waren einigermaßen verdutzt, denn es handelte sich gar nicht um einen Horrorfilm. Wir waren irritiert, genasführt und in den Magen gepufft!«
Keßler fühlte sich nicht ohne Grund so. Buttgereits Film ist eine Enttäuschung im positiven Sinn. Er enthält die Stilmittel von Splatter- und Gorefilmen, lockt mit dem billigen Charme der Exploitation. Doch er enttäuscht die Erwartungen nicht nur, er verhöhnt sie noch dazu. In einer Szene begibt sich Schmadtke in ein Kino. Dort läuft das Klischee eines Slasherfilms: Ein mit einem Messer bewaffneter Mörder jagt eine kreischende Blondine durch ein Haus und bringt sie schließlich um. Der Film im Film dürfte den Erwartungen der Splatterfreunde eher entsprochen haben, war aber nur der ironische Abgesang auf ein künstlerisch größtenteils stagnierendes Genre.
Löser, Keßler und Kuhlbrodt haben aber keineswegs dröge Filmanalysen verfasst. Vielmehr gewähren sie in überaus subjektiven, biografisch gefärbten Texten auch einen Blick auf die Zeit, in der »Nekromantik« entstand. 1987 war es um die Kreativität der Kreuzberger Alternativszene im Umkreis des SO?36 nicht mehr allzu gut bestellt. Und so liefert Buttgereits Film auch eine zynische Metapher der Berliner Punkszene, die zu der Zeit längst auch nur noch um eine Leiche tanzte.
Johannes Schönherr eröffnet darüber hinaus eine Perspektive auf »Nekromantik«, die vielleicht am verblüffendsten ist. Er war zu Beginn der achtziger Jahre als Leichenbestatter auf dem Friedhof Connewitz in Leipzig tätig, ehe er 1983 in die BRD ausreiste. Mit dieser beruflichen Erfahrung unterzieht der Autor den Film einem »Reality Check«. Wie leicht lässt sich eine Leiche überhaupt entwenden? Wie schnell verwest sie unter welchen Bedingungen? Diese Fragen stellt Schönherr und kommt »Nekromantik« betreffend zu erstaunlichen und amüsanten Antworten.
Nicht ganz so unterhaltsam ist hingegen der Beitrag der Filmwissenschaftlerin Linnie Blake, die den biografischen Angaben im Buch zufolge in ihrer akademischen Arbeit bisher »die Artikulierung nationalspezifischer Traumata vom Holocaust bis Hiroshima, von Vietnam bis zum Thatcherismus im Horrorkino untersucht« hat. Nun liegt der Bezug in »Nekromantik« zur bundesdeutschen Vergangenheitsbewältigung tatsächlich auf der Hand. Robert Schmadtke arbeitet bei einem Unternehmen mit dem Namen »Joe’s Säuberungs-Aktionen«, kurz JSA. Das Logo der Firma ziert ein Totenkopf, der an das Emblem der SS erinnert. Die Arbeiter von JSA entsorgen Leichen mit kaltem Kalkül. Die Hauptfigur liebt Tote, stiehlt eine Leiche, entreißt sie also der Vergessenheit, wird über all dem irre und entleibt sich letztlich in Fontänen von Sperma und Blut.
Buttgereits Szenario dem Neuen Deutschen Film zuzuschlagen, wie Blake es tut, ist sicher fraglich. Dem widerspricht bereits Kuhlbrodt: Denn die Anfänge der Punkbewegung, aus der auch Buttgereit kommt, hatten »mit dem Nationalen (»Deutscher Film«) nichts am Hut«. Blake erklärt Buttgereit zudem zu einem Geistesverwandten des Regisseurs Hans-Jürgen Syberberg. Das geht endgültig zu weit. Denn Syberberg verklärt den Nationalsozialismus unter anderem in seinem siebenstündigen Machwerk »Hitler Ein Film aus Deutschland« zur Nestbeschmutzung, die den »nationalen Geist« missbraucht habe. Die Irrationalität der »deutschen Volksseele« gilt es nach Syberbergs Ansicht zu rehabilitieren. »Nekromantik« eine ähnliche Intention zu unterstellen, macht einen beinahe sprachlos.
Kontrovers lässt sich also auf jeden Fall auch 20 Jahre nach der Uraufführung noch über den Film und seine Rezeption sprechen. Jörg Buttgereit müssen die Ansichten der Autorin und der Autoren aber akzeptabel erscheinen. Schließlich ist er selbst der Herausgeber des Buches. Es erscheint mit zahlreichen Bildern ausgestattet auf Deutsch und auf Englisch. Und letztlich wird sich Buttgereit wohl auch geschmeichelt fühlen, findet sich doch an einer Stelle das durchaus zutreffende Urteil: »Nekromantik ist ein großer Film, kein Quickie.«
Markus Ströhlein in: Jungle World Nr. 48 vom 29. 11. 2007
Independent-Horror
Buttgereits NEKROMANTIK von allen Seiten betrachtet
Pünktlich zum 2o-jährigen Jubiläum von Jörg Buttgereits Independent-Horrorfilm NEKROMANTIK erscheint im Martin-Schmitz-Verlag ein Taschenbuch, das gleich in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert ist.
Zum einen versammelt das Bändchen sechs persönliche Annäherungen verschiedenster Autoren - teilweise Mitarbeiter von epd Film -, die die Bedeutung des Films für die deutsche Filmlandschaft vor 20 Jahren betonen, aber auch dessen Zeitlosigkeit unterstreichen. So schildert beispielsweise der in Fankreisen nicht unbekannte Gelsenkirchener Autor Christian Keßler in gewohnt launigem Stil seine langdauernde Beziehung zu dem Film (und anderen Werken Buttgereits) und erstellt eine kommentierte Filmografie. Auf eine ganz andere Weise nähert sich Buttgereit-Freund Marcus Stiglegger dem Sequel zu NEKROMANTIK, das er als eine Art Bild gewordene Zeitgeiststudie der Stadt Berlin nach der Wiedervereinigung interpretiert. Oder Dietrich Kuhlbrodt, der sich auch als Zensurexperte und -gegner den Tabubrüchen im Werk Buttgereits widmet.
Bemerkenswert ist zudem, dass das von Buttgereit mit selten zu sehenden Set-Fotografien vom NEKROMANTIK-Dreh garnierte Bändchen zweisprachig erschienen ist. In der zweiten Hälfte des Buches stehen die Buchstaben Kopf - man kann das Buch von hinten lesen und bekommt die englischen Übersetzungen (oder im Falle von Linnie Blakes Essay über Buttgereits Film im Kontrast zum zeitgenössischen Horrorgenre: das Original) zu sehen, ebenfalls komplett durchillustriert, jedoch mit anderen Bildern und sogar einem eigenen Cover. Nachdem das filmische Gesamtwerk Buttgereits komplett auf DVD erhältlich ist und er seine Stoffe nun ans Theater bringt (in Berlin lief gerade sein »Captain Berlin vs. Hitler«-Bühnenstück an), wird die publizistische Aufbereitung des Œuvres angegangen. Diese schön gestaltete Publikation ist ja vielleicht nur der Anfang.
Stefan Höltgen in: epd Film 01/2008
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Was vom Menschen übrigbleibt
Zwanzig Jahre nach seiner Premiere ist nun ein Sammelband zu Jörg Buttgereits Horror-Melodram NEKROMANTIK erschienen. Der konsequenterweise gleich vom Regisseur selbst herausgegebene Band ist die bislang einzige Monografie zu Buttgereits Filmen.
Der Markt für die Filme des Regisseurs Jörg Buttgereit ist begrenzt. Sein 1987 erschienenes Spielfilm-Debüt NEKROMANTIK handelt von einem schmächtigen Mann, der sich, weil er mit den Lebenden nicht zurecht kommt, mit Totem umgibt. Rob (Daktari Lorenz) arbeitet für die Leichensammler der Firma "Joe's Säuberungsaktion". Eines Tages bringt er eine verweste Leiche mit nach Hause zu seiner Freundin Betty (Beatrice M). Der Filmtitel spielt mit der Verbindung von Nekrophilie und Romantik: Den Sex zu dritt filmt Buttgereit unbekümmert im Weichzeichner, unterlegt mit einer süß-melancholischen Klaviermelodie.
Wie die meisten Dreiecksbeziehungen nimmt auch diese kein gutes Ende. Der tote Liebhaber ist attraktiver als der lebende, Betty zieht aus und nimmt die Leiche mit. Der Verlassene dreht durch, erschlägt eine Prostituierte und vergeht sich an ihrem toten Körper. Am Ende bringt Rob sich in einem buchstäblich orgiastischen Gewaltakt um. "Buttgereit hatte NEKROMANTIK ambivalent gestaltet", schreibt Dietrich Kuhlbrodt. "Auf der Kippe zwischen künstlerischem Anspruch und geiler Exploitation. Sensationell war es, sich an einer Leiche zu befriedigen. Ein Kunstwerk war es, die Verwirrung, die Isolation und die Befreiungsversuche verwirrter junger Leute in Bilder zu fassen."
Zu lesen ist Kuhlbrodts Text in Nekromantik, dem Buch zum Film, das zum zwanzigjährigen Premierenjubiläum im Martin Schmitz Verlag erschienen ist. Der Band erinnert an einen eigenwilligen Film. Gedreht wurde auf grobkörnigem Super 8und 16mm-Material. Drehzeit: zwei Jahre, an den Wochenenden. Ein rudimentäres Skript hatten Buttgereit und sein Koautor Franz Rodenkirchen auf Karteikarten geschrieben. Die Schauspieler waren Freunde des Regisseurs, allesamt Laien. Das hört man, und deswegen wird auch wenig gesprochen. An NEKROMANTIK lässt sich wunderbar nachvollziehen, wie jemand sub-optimale Bedingungen in ein künstlerisches Verfahren verwandeln kann: Buttgereit ist neben Christoph Schlingensief einer der wenigen deutschen Nachkriegsfilmemacher, der seine Geschichten in Bildern und nicht in Dialogen erzählt.
Für das Arthaus-Publikum war das alles zu rabiat, für die Horrorfans zu spröde. Letztere brachte der Film dann auch entsprechend durcheinander: "Wir waren irritiert, genasführt und in den Magen gepufft", schreibt Christian Keßler. NEKROMANTIK 2 verprellte vier Jahre später dann auch viele Fans des ersten Teils. Das Sequel erzählt eine elegische Liebesgeschichte - mit vereinzelten, aber lustvoll inszenierten Splatterszenen.
Die bayerische Staatsanwaltschaft war nicht amüsiert und versuchte, das Filmnegativ beschlagnahmen zu lassen. Jörg Buttgereit saß zwischen allen Stühlen und nahm es gelassen: "Wenn Leute zu mir sagen, ich mag deine Filme nicht, dann sag ich meistens, ja, das kann ich gut verstehen."
Jetzt, wo die Filme allesamt auf DVD erhältlich sind und der erste Essayband erscheint, wird es hoffentlich möglich, die Arbeit Buttgereits losgelöst von Transgressionskitsch und Zensur diskurs zu sehen. Claus Löser und Marcus Stiglegger verstehen NEKROMANTIK 1 und 2 als Abschiedsfilme, die das Ende der Subkultur im Westberlin der achtziger Jahre markieren. "Die Zeit arbeitete für diesen Film", schreibt Löser über NEKROMANTIK 1. "Aus ihm spricht heute noch mehr als vor zwanzig Jahren ein visionärer Blick auf eine ermüdete und erkaltete Gesellschaft, die ihren eigenen Kindern keine Wahl ließ, als sich selbst aufzufressen." Linnie Blake wiederum macht eine "subtil verschlüsselte Nazisemiotik" aus und sieht in Buttgereits liebenden Toten eine Metapher für den Versuch, sich der "Schrecken der Vergangenheit, die vorschnell begraben wurden" zu erinnern.
Johannes Schönherr, in einem früheren Leben als Totengräber in Leipzig tätig, schert sich nicht groß um Subtext-Exegese
und prüft die Leichsammler von "Joe's Säuberungsaktion" auf
Realitätstauglichkeit. Er berichtet von der Verstrickung der Mafia in das Totengräbergewerbe Taiwans, der Ausbeutung der Hinterbliebenen in Serbien und von einem Krematoriumsleiter aus Georgia in den USA, der die ihm anvertrauten Toten, anstatt sie einzuäschern, auf einem nahe gelegenen Feld vergrub. "Sind diese Geier nicht ekelhaft? Ich würde auf jeden Fall die liebevolle Fürsorge von Leuten wie Rob und Betty bevorzugen, sobald meine Zeit gekommen ist."
Kurz: "Da haben wir sie wieder, die verwirrende Ambivalenz." (Kuhlbrodt) Die Filme von Jörg Buttgereit sind traurig und komisch, schön und schrecklich zugleich. Linnie Blake macht im Filmschaffen Buttgereits einen Humor aus, der "auf eine perverse Art und Weise lebensbejahend" ist. Es geht in NEKROMANTIK, anders als im konventionellen Splatterfilm, nicht um die Zerstörung von Körpern, sondern um ihre Erhaltung: "Ein Film über die Liebe zum Menschen und was von ihm übrig bleibt." So verspricht es uns das Filmposter, und das lügt in diesem Fall einmal nicht.
Die deutsche Nekromantik
Der Band »Nekromantik« konfrontiert uns mit Grenzüberschreitungen, noch bevor wir überhaupt beginnen, seinen Inhalt zur Kenntnis zu nehmen. Allein die Umschlagbilder, die die berühmt-berüchtigten Nekromantik-Filmplakate zitieren, verstoßen ganz vehement gegen die Regeln des guten Geschmacks und würden es dem Leser schwer machen, das Buch einfach in der Straßenbahn aufzuklappen. Einen gewissen Grenzgang stellt auch die Tatsache dar, daß der Urheber der beiden Nekromantik-Filme Jörg Buttgereit hier gleichzeitig als Herausgeber auftritt, was ihn a priori in ein Autoritätsverhältnis zu seinen eigenen Analytikern bringt. Und schließlich ist das Buch »beidseitig« lesbar: Je nachdem, wie man es dreht, kann man sich in die deutsche oder englische Textversion vertiefen, was freilich nicht nur eine nette Spielerei ist, sondern ein Zeichen für die internationale Ausrichtung des Projekts und den deutschsprachigen Raum weit übergreifenden Erfolg von Buttgereits Produktionen.
Die fortschreitende Lektüre überzeugt, daß auch im Aufbau des Sammelbandes genauso wenig Rücksicht auf das »Reinheitsgebot« genommen wurde: journalistische Texte, Zeitzeugenberichte, wissenschaftliche Abhandlungen - all diese Genres sind in »Nekromantik« gleichberechtigt vertreten. Trotz der Vielfalt der methodischen Ansätze zeichnen sich alle Autoren durch den liebevollen Umgang mit den Leichen, die Buttgereit auf die Leinwand geholt hat, und hauchen ihnen durch die Interpretationen und Erklärungen buchstäblich neues Leben ein, wobei diese auch an sich noch recht lebendig und frisch wirken. Ganz besonders spannend ist der Text von Johannes Schönherr geraten, der über seine eigenen Erfahrungen als Totengräber in Leipzig zu DDR-Zeiten berichtet und aus seiner Faszination für den (echten) Tod keinen Hehl macht. Sein Versuch, die ästhetischen Phänomene mit Hilfe der realen Erlebnisse zu reflektieren (und natürlich auch umgekehrt), eröffnet eine ungewöhnliche und verstörende Perspektive auf Buttgereits Schaffen, das plötzlich mehr Verbindungen zur alltäglichen Lebens- bzw. Todespraxis aufweist als einer zu vermuten wagte.
Die anderen Autoren konzentrieren sich hauptsächlich auf die metaphorische Dimension von Nekromantik und betonen vor allem die symbolischen Bezüge zur historischen Situation im geteilten Deutschland und speziell im Westberlin, einer »Inselstadt«, die alle Widersprüche und Ängste der Epoche in sich aufgesogen hat, sich aber laut Marcus Stiglegger auch als eine kreative Oase mit besonderer Schaffensfreiheit behaupten konnte. Nichtsdestotrotz bleibt das Bild von Berlin auch in Nekromantik 2, der bereits nach der Wiedervereinigung gedreht wurde, unwirtlich und durch Entfremdung gekennzeichnet. Wie seine Protagonisten, die die Leichen nicht ruhen lassen können, bringt Buttgereit das Verdrängte wieder ans Tageslicht und scheut dabei keinesfalls die direkten oder metaphorischen Querverweise auf die mit Tabu belegten Kapitel der deutschen Geschichte. Die Artikel von Dietrich Kuhlbrodt und Linnie Blake betrachten den Nekromantik-Zweiteiler im Kontext der anderen Werke des Regisseurs und stellen unter anderem die genealogischen Verbindungen zu dem Film »Blutige Exzesse im Führerbunker« fest, der die Nazi-Mythologie erfolgreich exhumiert. Das penetrante Zelebrieren des Todes und der Verwesung gerät somit zum Protest gegen die totalitären Autoritäten und führt uns die Kehrseite ihrer Ideologien vor. In diesem Kontext verweist Blake auch auf die optische Ähnlichkeit zwischen dem Totschläger aus Nekromantik und dem realen Vater von Buttgereit, der im experimentellen Film »Mein Papi« in dokumentarischer Manier mit einer Super 8-Kamera festgehalten wird. Die Abrechnung mit der deutschen und der eigenen (Familien-)Geschichte erfolgt also parallel und hat den gleichen makabren Beigeschmack.
Der Sammelband wird vor allem diejenigen Nekromantik-Fans begeistern, die keine Angst haben, daß ihr Lieblingsfilm durch die eingehenden Analysen und Kommentare eine Entzauberung erfährt. Dafür werden sie mit spannenden Denkanstößen belohnt und geben dem Film eine Chance, sie erneut zu verzaubern diesmal vielleicht auf einer anderen Ebene.
Ekaterina Vassilieva in: Schnitt 03/08
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Liebe & Tod - revisited
Deutsche Splatterfilme an der Schwelle zu den 90er Jahren: es gab Andreas Schnaas, Olaf Ittenbach, Andreas Bethmann und Konsorten. Ihre Werke waren ungelenke Studien der Rezeption ihrer hierzulande verfemten meist italienischen Vorbilder: ein Fragment von Handlung liefert den Anlass zum Splattern ohne Anspruch, will heißen: Erzähl- oder Schauspielbefähigung hatten hinter dem Effektfetisch auf ihre Einschulung zu warten. Und dann gab es noch Jörg Buttgereit, den Pionier der Berliner Supper-8-Szene. 20 Jahre ist es nun her, als sein Erstlingslangfilm Nekromantik das Licht der Welt erblickte. Eine irritierende und doch sehr raue Melange aus Exploitation und Poesie, in der der junge Robert und seine Freundin Betty ihre Liebe zu Leichen erkunden. Zumindest so lang Robert durch seine Mitarbeit in der Firma Joes Säuberungsaktion für Nachschub sorgen kann. Denn mit seiner Entlassung verliert er auch Betty und ergreift verzweifelt die letzte Möglichkeit, ihre Nähe zu gewinnen: Im düsteren Finale aus Blut und Sperma ersticht er sich selbst, um ihr fortwährend als Toter ein guter Liebhaber zu sein.
Der Rest ist Legende: der Gore-Bauer war verschreckt, ein etwas progressiver gesinntes Publikum verhalf dem Film zum Kultstatus. Veröffentlichungen in Japan und den USA folgten, in Deutschland hingegen drohte das Banner der Zensur. Indizierung, gar zeitweise Beschlagnahmung der Fortsetzung 1993, bis der richterliche Freispruch die künstlerischen Ambitionen anerkannte und das kleine Jelinski & Buttgereit Label gerade noch vor dem Konkurs rettete.
Nun hat Herausgeber Buttgereit sechs ihm in verschiedenartiger Weise nahestehende Autoren ausfindig gemacht, um das Phänomen Nekromantik ein weiteres Mal beleuchten zu lassen. Er selbst hält sich vornehm bedeckt, steuert lediglich ausführliches Bildmaterial des Produktionsprozesses bei. Eine entsprechende Vielfalt ist geboten: Marcus Stiglegger liest Nekromantik 2 raumtheoretisch als Chiffre der verfallenen und sich neu formierenden Stadt Berlin, die Nekrophilie der beiden Protagonisten als Metapher „einer bröckelnden Betonwelt“; Christian Kessler geht in die Zeit zurück und betrachtet seine erste Begegnung aus der Warte des Fanboys, der, angeheizt ob der Gerüchte um letzte Tabubrüche, die der Film zelebriere, „irritiert, genasführt und in den Magen gepufft“ zurückblieb, sah man sich stattdessen doch „konfrontiert mit einem unglücklichen, isolierten Mann, dem die Natur einen grimmigen Streich spielt.“ Der Beginn einer wundervollen Freundschaft. Neben Beiträgen von Dietrich Kuhlbrodt und Claus Löser sind es insbesondere, positiv wie negativ, jene Johannes Schönherrs und Linnie Blakes, die nochmals gesondert herausragen. Schönherr vollzieht den reality check eines Totengräbers, führt beiläufig ein in die Wirrungen einer in manchen Teilen zutiefst Angst einflößenden Zunft und lässt ein unangenehmes Gefühl dafür entstehen, was Verwaltung des Todes, aber auch Beziehung zum Körper nach seinem Ableben in seiner raubtierkapitalistischen Tragweite wirklich bedeuten. Sein Fazit: „Ich würde auf jeden Fall die liebevolle Fürsorge von Leuten wie Rob und Betty bevorzugen, sobald meine Zeit gekommen ist.“
Die englische Filmwissenschaftlerin Linnie Blake nun, laut Klappentext spezialisiert auf die Artikulierung nationalspezifischer Traumata im Horrorkino, verortet Buttgereits künstlerisches und ideologisches Anliegen in der Tradition des Neuen Deutschen Films, genauer gesagt in dessen Erkundung einer unzureichend aufgearbeiteten Vergangenheit. Dieses Vorhaben führt in seiner ganzen Absurdität schon mal zu einer Parallelisierung des Werk Buttgereits mit dem Syberbergs, der in seinem Machwerk Hitler Ein Film aus Deutschland das deutsche Volk als ein vom kollektiven zum handfesten Dämon Hitler sich materialisierten Unbewussten verführtes imaginiert, also weniger eine Schuldbekenntnis bezüglich Papis Machenschaften abverlangt, als eher dessen Entschuldigung pompös zelebriert, somit auch keinerlei Verwandtschaft, im Gegensatz zur Auffassung der Autorin, zu Claude Lanzmanns Methode der Spurensuche des Vergangenem in der Gegenwart aufweist, sondern sie höchstens mythologisierend ins Reaktionäre verkehrt.
Was das alles mit Nekromantik zu tun hat? Eingedenk der unleugbaren Nazicodierungen in beiden Filmen, sowie den zentralen Themen Sex und Tod bestehe eine Verbindung zwischen Buttgereit und dem Neuen Deutschen Film. Mit dem Schrecken der Vergangenheit und seiner ausbleibenden Aufarbeitung als Prämisse liege somit die Mitschuld des Mediums Film an diesem Zustand auf der Hand und dies exerziert Buttgereit beispielhaft durch, lautet die schmalbrüstige These. Von den Entsymbolisierungsstrategien des Punkrock keine Spur, ein zweijähriger Sid Vicious mit Hakenkreuz-T-Shirt kann dann eben etwas mehr bedeuten, als den Anschluss an einen Strang nationaler Filmkultur.
Davon abgesehen ist das Buch in allen Belangen empfehlenswert, mit dem kleinen Manko, dass es komplett zweisprachig vorliegt, was einerseits die Erprobung der englischen Sprachfähigkeiten erleichtern mag, andererseits allerdings den Inhalt radikal halbiert.
Nekromantik was one of the last true underground films. A pre-internet flick that made its way around the world via shoddy bootleg videos or through folks like film writer and exhibitionist Jack Stevenson who toured a print in the 1980s. Making one’s way down to the backroom screening room at the Rendezvous on Seattle’s old Film Row was just the way to experience an out-there grainfest like Nekromantik. A small smoky room, curved worn seating next to strangers, and really, something you just had to find, had to discover.
In Martin Schmitz Verlag’s Nekromantik, six German film writers exhume their discoveries as the film unspooled before their virgin eyes. Localizing the responses to Germany creates a more site-specific view of the film, concretizing its nascence to that country with a troubled past and still the producer of the most non-sexual porn available.
Johannes Schoenherr’s sidesplitting piece, “Reality CheckThe Gravedigger’s Perspective,” is the most correct American-idiomatic and the most humorous. Completely tossing the film’s plot and characters aside like a shovelful of moist dirt, Schoenherr further scandalizes the actions of the film’s characters with his moribund account of how bodies are planted and exhumed.
Marcus Stiglegger, Linnie Blake, and Claus Loser take on more scholarly reportage, while Dietrich Kulbrodt’s essay “Loving Corpses” revels a bit more in the film’s, and Germany’s, excesses, practically rolling around in glee as if the topics were physical piles of gooey warm muck that one could subsume oneself in.
Buttgereit contributes the introduction to the book, which is in both German and English in flip-over style, and includes an amazing collection of unseen stills. It’s rare enough to see an erect penis in any film history book, but to see one with a grimacing blood-coated face erupting in ecstasy, pain and release… that’s why they call them money shots!
Beautifully presented, lavishly illustrated, and thick with informative film history, knowledgeable comparative mirroring, and pitch-black dark humor, Martin Schmitz Verlag’s Nekromantik is a must-belong alongside your Barrel Entertainment releases of the classic films. A priceless addition to any serious horror film fan’s library, and for the closeted corpse lover in us all.
Shade Rupe in: Rue Morgue/April 2008
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Nekromantik
Deutsche Splatterfilme an der Schwelle zu den 1990er-Jahren: Es gab Andreas Schnaas, Olaf Ittenbach, Andreas Bethmann und Konsorten. Ihre Werke waren ungelenke Studien der Rezeption ihrer hierzulande verfemten, meist italienischen Vorbilder. Ein Fragment von Handlung lieferte den Anlass zum Splattern ohne Anspruch; Erzähl- oder Schauspielbefähigung hatten hinter dem Effektfetisch auf ihre Einschulung zu warten. Und dann gab es noch Jörg Buttgereit, den Pionier der Berliner Super-8 Szene. 20 Jahre ist es nun her, dass sein Erstlingslangfilm Nekromantik das Licht der Welt erblickte, eine irritierende und doch sehr raue Melange aus Exploitation und Poesie über den jungen Robert und seine Freundin Betty, die ihre Liebe zu Leichen erkunden - zumindest solange Robert durch seine Mitarbeit in der Firma „Joes Säuberungsaktion“ für Nachschub sorgen kann. Denn mit seiner Entlassung verliert er auch Betty und ergreift verzweifelt die letzte Möglichkeit, ihre Nähe zu gewinnen: Im düsteren Finale aus Blut und Sperma ersticht er sich selbst, um ihr fortwährend als Toter ein guter Liebhaber zu sein. Der Rest ist Legende: Die Gore-Fans waren verschreckt, ein etwas progressiver gesinntes Publikum verhalf dem Film zum Kultstatus. Veröffentlichungen in Japan und den USA folgten, in Deutschland hingegen drohte das Banner der Zensur. Indizierung, gar zeitweise Beschlagnahmung der Fortsetzung 1993, bis der richterliche Freispruch die künstlerischen Ambitionen anerkannte und das kleine Jelinski&Buttgereit Label gerade noch vor dem Konkurs rettete.
Nun hat Herausgeber Buttgereit sechs ihm nahe stehende Autoren ausfindig gemacht, um das Phänomen Nekromantik ein weiteres Mal beleuchten zu lassen. Er selbst hält sich vornehm bedeckt, steuert lediglich ausführliches Bildmaterial des Produktionsprozesses bei. Eine entsprechende Vielfalt ist geboten: Marcus Stiglegger liest Nekromantik 2 raumtheoretisch als Chiffre der verfallenen und sich neu formierenden Stadt Berlin, die Nekrophilie der bei den Protagonisten als Metapher „einer bröckelnden Betonwelt“; Christian Kessler geht in die Zeit zurück und betrachtet seine erste Begegnung aus der Warte des Fanboys, der, angeheizt ob der Gerüchte um letzte Tabubrüche, die der Film zelebriere, „irritiert. genasführt und in den Magen gepufft“ zurückblieb, sah man sich stattdessen doch „konfrontiert mit einem unglücklichen, isolierten Mann, dem die Natur einen grimmigen Streich spielt“. Neben Beiträgen von Dietrich Kuhlbrodt und Claus Löser ist es insbesondere jener von Linnie Blake, der - im negativen Sinne - gesondert herausragt. Die englische Filmwissenschaftlerin, laut Klappentext spezialisiert auf die Artikulierung nationalspezifischer Traumata im Horrorkino, verortet Buttgereits künstlerisches und ideologisches Anliegen in der Tradition des Neuen Deutschen Films, genauer gesagt in dessen Erkundung einer unzureichend aufgearbeiteten Vergangenheit. Dieses Vorhaben führt in seiner ganzen Absurdität sogar zu einer Parallelisierung des Werks von Buttgereit mit dem von Hans-Jürgen Syberberg, der das deutsche Volk in seinem Machwerk Hitler - Ein Film aus Deutschland als ein kollektiv verführtes Unbewusstsein imaginiert, also weniger ein Schuldbekenntnis bezüglich Papis Machenschaften abverlangt, als eher dessen Entschuldigung pompös zelebriert. Daher weist Syberbergs Arbeit im Gegensatz zur Auffassung der Autorin auch keinerlei Verwandtschaft zu Claude Lanzmanns Methode der Spurensuche des Vergangenem in der Gegenwart auf, sondern verkehrt sie höchstens mythologisierend ins Reaktionäre.
Was das alles mit Nekromantik zu tun hat? Eingedenk der unleugbaren Nazicodierungen sowie den zentralen Themen Sex und Tod bestehe eine Verbindung zwischen Buttgereit und dem Neuen Deutschen Film. Mit dem Schrecken der Vergangenheit und seiner ausbleibenden Aufarbeitung als Prämisse liege somit die Mitschuld des Mediums Film an diesem Zustand auf der Hand - und dies exerziert Buttgereit beispielhaft durch, lautet die schmalbrüstige These. Von den Entsymbolisierungsstrategien des Punkrock keine Spur, ein zweijähriger Sid Vicious mit Hakenkreuz-T-Shirt kann dann eben etwas mehr bedeuten als den Anschluss an einen Strang nationaler Filmkultur.
Davon abgesehen ist das Buch in allen Belangen empfehlenswert, mit dem kleinen Manko, dass es komplett zweisprachig vorliegt, was einerseits die Erprobung der englischen Sprachfähigkeiten erleichtern mag, andererseits allerdings den Inhalt radikal halbiert.
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