Martin Schmitz Verlag

Laudatio von Brezel Göring

Liebe Freundinnen und Freunde des Woll- und Häkeluniversums. Ich - Wollita - und meine geistigen Eltern Françoise Cactus, Wolfgang Müller und Martin Schmitz sind sehr froh, dieses Jahr zum dritten Mal den Wollitapreis an kulturell besonders ausgefallene Leistungen zu vergeben.
In den letzten Jahren haben wir den Preis an Barbara Kalender und Jörg Schröder vom März Verlag verliehen - der März Verlag als wortgewalltige Angriffsmaschine der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft aus radikal subjektiver Erzählpraxis) und Ming Wong für sein Video „Deutsch lernen mit Petra von Kant“ - einer Übersetzung des Fassbinderfilmes, die auf humoristische Weise den Finger dorthin steckt, wo es nach Leitkultur und Zwangsdeutschlernprogramm stinkt.
Dann allerdings mehrten sich in den Briefen an den Wollita-Fan-Club Stimmen, die eine Korrektur der Vergabepraxis forderten. Warum, so schrieben mir die Fans, werden immer nur Künstlerinnen und Künstler geehrt, die etwas außergewöhnliches geleistet haben und wahrscheinlich auch in Zukunft noch viele tolle Projekte verwirklichen werden?
Warum wird der Preis nicht einmal an eine Person vergeben, die noch „gar nichts geleistet hat“, und die sich weigert, in Zukunft am Rennen nach Ruhm, Ehre, Titelseiten und Hitparadenplatzierungen teilzunehmen? Würde das nicht viel besser zur Geschichte von Wollita passen, die selbst nie große Pläne hatte und gegen ihren Willen in das grelle Licht der Scheinwerfer gezogen und aus purer Notwehr zur Ikone der subversiven Kulturkritik wurde?
Und da fiel mir die CD „Ich will kein Newcomer sein“ der Band Robotron in die Hände. Die konsequente Haltung der Band, sich nicht an der Mehrheitskultur zu beteiligen, hört man nicht nur im ruppigen Klang der Musik, sondern auch in den Texten der Lieder, die völlig auf Parolen oder mitsingbare Refrains verzichten.
Zur musikalischen Verweigerung gegenüber dem Massengeschmack gesellt sich noch eine gechickte Politik der Warenverknappung.
Die erste Kassette „Konsumterror“ erschien in einer Auflage von 9 Exemplaren. Daraufhin veröffentlichten sie eine CD-Rom mit einer Auflage von 28 Stück. Dann begingen sie den folgenreichen Fehler, 200 Vinyl Singles zu pressen.
Das riecht nach Massenware, Ausverkauf, gesichtslosen Hochglanzprodukten, die auf Europalletten in Mediagroßmärkte geliefert werden. Das klingt nicht nur schaurig - liebe Wollfreundinnen und -freunde -, das i s t es auch!
Dieses abscheuliche Produkt charakterloser Profitgier wird von einer dünnen Decke kunsthandwerklicher Scheinoriginaltät bedeckt: Jeder Platte liegt - gewissermaßen als Plattenhüllenersatz - eine handbedruckte Postkarte bei. Die Postkarten sind beschrieben und stammen vom Flohmarkt, wo auch die Sperrmüll-Casioorgeln der Band herkommen. Dieses Verfahren - die Benutzung dessen, was die Gesellschaft als unbrauchbar und wertlos ansieht - ist die entscheidende Aussage dieser Platte: Unser Material ist das, was ihr wegwerft, wir fangen da an, wo der Warenkreislauf endet.
Sie haben jetzt viel vom Schrott- und Mangelwarenladen Robotron erfahren, es bleibt mir an dieser Stelle nur noch, die Musiker vorzustellen; Da gibt es Basti am Theremin und Andi an der Gitarre. Das Besondere an ihnen ist, das sie jede Form modischer Musik, elektronischer Musik, Punk, Noise oder Avantgarde durch ihre ungeheure Chaotik und Schlampigkeit langweilig werden lassen.
Mit unserem sicheren Griff für Nischenprodukte haben wir - die Jury - dieses Jahr Robotron ausgewählt.
Wir verleihen den Preis dieses Mal nicht für ein „Lebenswerk“ - wie im Fall des März Velag - und nicht für ein einzelnes, herausragendes Kunstwerkes - wie im Falle von Ming Wong -, sondern wir verleihen den Preis für eine bestimmte Haltung: für humorvolle Kompromisslosigkeit und schlau-dadaistische Fundamentalverweigerung, die in einer Zeit, in der karriere-orientierte Selbstzensur zum guten Ton gehört, nicht genug betont und unterstützt werden kann.
Ich - Wollita - finde jedes überschwengliche Lob lächerlich, aber in diesem Fall stimme ich begeistert in den Chor der Juroren ein, die den Preis dieses Jahr einstimmig an Robotron verleihen. Herzlichen Glückwunsch!

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Wollita Preisträger 2009
Die Band Robotron - Info auf MySpace

Wollita Preisverleihung am 13.12.2009 im Möbel Olfe. Begrüßung durch Martin Schmitz mit Françoise Cactus, Wollita und Wolfgang Müller.
Die Preisverleihung
an Andy & Basti = Robotron.
Brezel Göring hält die Laudatio.