Martin Schmitz Verlag

Vom Objekt zum Subjekt

Eine nackte 1,75 m große gehäkelte Wollpuppe von Francoise Cactus (Stereo Total) ist Objekt einer Ausstellung mit dem Titel "When Love turns to Poison". Sie wird von BILD und ihrem Berliner Ableger B.Z. in einer wochenlangen Kampagne als "Kinderpornokunstausstellung" denunziert. Besonders häufig wird dabei die Wollpuppe Wollita abgebildet. Doch statt beleidigt zu sein, sieht Wollita (18) durch ihre Medienpräsenz eine Chance und beginnt eine Karriere als Sängerin. Sie kauft sich neue, dezente Häkelkleider, schreibt eine Biographie, der eine CD mit ersten Chansons beiliegt. Die Skandalisierungskampagne führt dazu, dass das Objekt der Boulevardmedien zum souveränen Subjekt wird.
Die inszenierte Skandal-Kampagne wird so nicht nur von den Autoren genial entlarvt, sondern auch selbst so gegen die Verursacher eingesetzt, dass der existierende B.Z.-Kulturpreis plötzlich lächerlich wird. Die Verlogenheit und Absurdität der Inszenierung wird offensichtlich. Dabei ist das ganze Ganze nicht in Form einer "Gegendarstellung" oder "linken Anklage" gehalten, sondern stellt eine neue Art des aufklärenden, amüsanten Umgangs mit Medienmanipulation und Skandalisierung dar. Wollita (18) ist Wallraff mit anderen Mitteln.

Rezensentin/Rezensent aus Hamburg bei Amazon
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Nicht zum Aufblasen gedacht

Endlich erzählt Wollita (18) in ihrer Biographie exklusiv die wahre Geschichte von Liebe, Wolle und Schmerz und präsentiert ihre erste Solo-CD »Außer Kontrolle« an der Seite von Stereo Total. Wie ihr Aufstieg vom »Wollknäuel zum Superstar« begann? Mit einer gewerblichen Sexanzeige in der »Berliner Zeitung«: »Scharfe Wollmaus, 18 Jahre jung, will dich verwöhnen. Immer bereit.« Françoise Cactus zögerte nicht lang, fand hautfarbene Schurwolle im »Wollparadies Fadeninsel« und erschuf ihre Wollita nach dem Vorbild gängiger aufblasbarer »Fickpuppen«: »Augenfarbe (blau, klassisch), Haarfarbe (braun mit roten Strähnchen, modern), Höschenfarbe (blau mit rotem Herzchen, französisch).« Kein Wunder, dass Wollitas ausgeprägte, träumerisch-vulgäre Anziehungskraft auch vor ihrer Entdeckung und Skandalisierung durch die Boulevardpresse überall Aufmerksamkeit erregte.
Der endgültige Durchbruch gelang ihr 2004 durch »When Love turns to Poison«, eine Gruppenausstellung im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Die Künstler, u.a. Beth Love, Stu Mead und eben Françoise Cactus, beschäftigten sich mit sexuellem Missbrauch und der Faszination und Fetischisierung von Kindfrauen. Das »Lolita-Syndrom« durchzieht Françoise Cactus' gesamte Arbeiten. Sie singt ja nicht nur bei Stereo Total und schlägt gleichzeitig auf Töpfe. Sie schreibt ebenfalls sehr gute Bücher, die nicht nur einfach, lakonisch und intelligent, sondern auch lustig sind. Sie arbeitet an Hörspielen, Theaterstücken und malt Bilder, die »mostly girls - insolent rebels, nice and sexy dreamers« zeigen.
Der humorvolle Blick auf Lolitas, die eben noch nicht angepasst, stattdessen »unendlich naiv, herrlich frühreif« und altklug sind, markiert neben klassischen Männerphantasien auch selbstironisch übertriebene weibliche Attitüden - und eine Phase größtmöglicher Freiheit. Was immer an der Kindfrau bezaubert und fasziniert, erschreckt zugleich, ist stets Ausdruck einer sexuellen Grenzüberschreitung. Die feministische Selbstaneignung des Diskursfelds Lolita versetzt Cactus in die Lage, den zwiespältigen Affekt, den das Spiel mit dem Fetisch Mädchen auslöst, zu erweitern und dieses Grenzgebiet anders zu besetzen. Und wo bleibt der Skandal? Obwohl Wollita das obskure Männerphantasie-Objekt der aufblasbaren Gummipuppe verspottet, wurde sie von »Bild«- und »B.Z.«-Reportern als Anleitung zur Kinderpornographie (für Wollfetischisten?) diffamiert.
Eltern und Schülern wurde eine Aufwandsentschädigung für belastende Aussagen gegen einen als Künstler beteiligten Lehrer angeboten, Jungnazis zu einer Demonstration gegen »entartete« Kunst mobilisiert - der erste Nazi-Aufmarsch in Kreuzberg seit Kriegsende. Zudem wurde, hier scheint der eigentliche Anlass der traurigen Kampagne zu liegen, der Rücktritt der PDS-Bürgermeisterin Cornelia Reinauer gefordert.
Wolfgang Müller, Autor, Künstler und Musiker, ergriff die Gegeninitiative und verfasste einen Aufruf, der von über 300 Künstlern unterschrieben wurde. Er forderte den »B.Z.«-Kulturpreis für Wollita. Obwohl Wollita leer ausging, hat sie mittlerweile ihre Depressionen im Griff: »Nein, nein. Ich habe keine Fusselmanie ... Ich ertrage es nicht, dermaßen sexy zu sein!« Sie lebt zeitweise im »Palais de Tokyo« in Paris, liebt den Sänger Jacno und arbeitet als Fotomodell. Ihre (der Biographie beiliegende) Debüt-CD kann es mit den großen französischen Chansonnieres aufnehmen, 58 Porträts in Deutschlands auflagenstärksten Zeitungen während der Zeit der Ausstellung haben ihren Ruhm gefestigt und bewiesen, dass Subversion stets »verletzlich offen für verschiedene Lesarten« bleibt. Das exzellente Buch spricht eine eindeutige Sprache.

Mascha Jacobs in: Spex 1/2006
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Wollita

"Es gibt sie doch, die ganz anderen Biographien. Hart aber herzlich. Unwahrscheinlich aber wahr. Traurig und trotzdem lustig. Beim Martin Schmitz Verlag wird man fündig. Wollita heisst die Heldin, aufgeschrieben haben die Geschichte Françoise Cactus und Wolfgang Müller. Wollita du Phantasie der Häkelnadeln, du Traum fleischfarbener Wollknäuel. Wo-lee-ta. Es eilt die Zunge im Dreisprung von Silbe zu Silbe, bis sich die Karriere des sanften Frauchens entfaltet – vom Wollknäuel zum Superstar. Sie existieren noch, die schrägen, die unangepassten, die nie bestsellerlistentauglichen, die ungefährlichen Gestalten. Dabei ist es eine Geschichte voll Engagement, ein kritischer Beitrag zur Rolle der Frau, voll Solidarität, voll Kunst, wie aus einer einfachen Topflappenhäkelpuppe, geboren auf Lanzarote und zu hause in Berlin-Kreuzberg, ein Skandalobjekt wird, beleidigt und bekämpft von der Boulervardpresse, verschmäht und doch geliebt. Sogar Lieder werden von ihr besungen, von "Stereo Total": "Wollita, Wollita, außer Kontrolle, Brust, Haut und Haar, alles aus Wolle.". Ach, Wo. Lee. Ta."

Thomas Wagner in: FAZ vom 22.10.05
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Um den Finger gewickelt
Macht Wollita Lust auf Handarbeit? Françoise Cactus und Wolfgang Müller über die Karriere einer erotischen Häkelpuppe.

Als am 16. Januar 1919 im Berliner Tageblatt die Nachricht erschien, Liebknecht sei bei einem Fluchtversuch erschossen und Rosa Luxemburg von der Menge gelyncht worden, kursierte in der Hauptstadt ein Flugblatt der Arbeiter- und Soldatenräte, das die Bevölkerung mit folgenden Worten vor derartigen Falschmeldungen warnte: »Seid vorsichtig gegen Nachrichten der bürgerlichen Presse, bevor sie nicht amtlich bestätigt sind! Die bürgerliche Presse verdient kein Vertrauen! Sie hat viele Jahre lang gelogen! Sie lügt auch heute noch!« Ähnliche Flugblätter hätte man im April 2004 auch gegen die Boulevardpresse in Berlin verteilen können. Da versuchten B.Z. und Bild-Zeitung mittels Verleumdungen die Schließung der Ausstellung »When Love Turns To Poison« im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien zu erreichen. Verschiedene Künstler hatten sich dort den Themen Liebe, Sexualität und sexueller Mißbrauch gewidmet. Die B.Z. - und Bild-Journalisten glaubten aber, Verbreitung und Verharmlosung von Pornographie und Pädophilie darin zu erkennen. Speziell Wollita, eine lebensgroße Topflappenhäkelpuppe mit Glubschaugen und rotem Kußmund, sorgte für große Aufregung. Man las, sie würde perverse Fieslinge zu Schweinereien animieren. Leider übersahen die Stimmungsmacher dieser Zeitungen dabei, daß Wollita genau den Nacktmodellen nachempfunden war, die auf deren Seiten fast täglich zu sehen sind. Die Künstlerin Françoise Cactus wollte mit ihrer gehäkelten Antisexpuppe eine Art Mahnmal gegen das Bild der Frau als Objekt entwerfen. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß Männer neben Lack und Leder auch Wolle geil finden könnten. B.Z.und Bild-Journalisten jedenfalls kürten ihr Wollmonster zum erotischen Pornostar.
»Ein Mann würde durch einen See von Kotze und Scheiße schwimmen, wenn auf der anderen Seite nur ein kleines Vötzchen auf ihn warten würde«, zitiert Cactus Valerie Solanas in ihrem Buch »Wollita«, das sie gemeinsam mit Wolfgang Müller schrieb, um »ihrem Baby« eine Stimme zu geben. Hier darf Wollita ausführlich darüber berichten, wie und warum sie entstanden ist und was die Boulevardpresse aus ihr gemacht hat: ein kleines Lehrstück über Macht und Manipulation von Medien. Nebenbei erfährt man aber auch einiges über Wollitas Privatleben. So plaudert sie zum Beispiel über ihre Vorliebe für kleine Männer aus Wolle, von denen sie am liebsten gleich zwei an ihrer Seite hätte - falls einer mal schlechte Laune hat. Im zweiten Teil geht Wollita mit Wolfgang Müller ins Schwule Museum und lernt Bruno und Armand kennen, zwei Tuntenfische aus Wolle. Die klären sie über ein paar wichtige Dinge auf. Sie erfährt, daß Guido Westerwelle nie an die Spitze der FDP gelangt wäre, wenn er immer offen und selbstverständlich zu seiner Homosexualität gestanden hätte. Oder daß Hans Werner Marquardt, Kulturchef der B.Z., in seiner Schulzeit gern grüne Schlaghosen und goldene Hemden trug. Jetzt aber bei jeder Gelegenheit gegen Künstler hetzt, die noch nicht etabliert sind. Oder gegen Kunst, die er nicht versteht. Cactus und Müller nutzen also die Gelegenheit, gründlich mit der Boulevardpresse und einigen Unpersonen aus Wirtschaft und Kultur abzurechnen. Das tun sie ganz charmant und in einer niedlichen Kindersprache - dem Thema und der HeIdin des Buches durchaus angemessen. Zwischendurch werden auch ein paar Fotos von Wollita gezeigt. Auf einem unterhält sie sich mit dem französischen Sänger Jacno, mit dem sie derzeit auch verlobt ist. Kein kleiner Mann aus Wolle, aber sie sieht trotzdem sehr glücklich aus.

Ina Bösecke in: Junge Welt vom 19.10.2005
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Vom Pin-up zur gereiften Show-Persönlichkeit
Medienstar Wollita trat im Kunstraum erstmalig live als Sängerin auf und umgarnte ihr Publikum mit Liedern von Liebe, Wolle und Schmerz

Im April 2004 verkündete Wollita noch: "Ich nehme jetzt Gesangsstunden und möchte eine CD mit selbst komponierten, anspruchsvollen Chansons aufnehmen." Anderthalb Jahre später hat sie dieses Ziel erreicht: Sie steht mit einem eigenen Programm auf der Bühne. Und das traditionsbewusst im Kreuzberger Bethanien, da, wo ihre steile Karriere begann.
Die Stimmung im mehr als gut gefüllten Saal ist fast zum Zerreißen gespannt, als Wollitas Begleitband Stereo Total auf die Bühne steigt, um mit dem ostinaten "Wollmensch-Maschine" ihren Auftritt ganz kraftwerkerisch und nach allen Regeln des Suspense vorzubereiten. Dann teilt sich der Vorhang - und sie erscheint: Wollita wie eh und je - mit rötlich-braunem Haarschopf, blau-rot geringelten Overknees und dem Herzchen auf dem Schlüpfer. Schnell legt sie auf der Bühne Reste von Befangenheit ab und greift mit gekonnt abgespreiztem kleinem Finger nach dem Mikrofon. Die Musik legt los, Wollita lüftet mit kecker Handbewegung noch einmal schnell das Haupthaar. Dann legt sie die Hände auf die Hüften und beginnt, im Rhythmus zu grooven - mal nur um die Beckengegend herum, mal fast ekstatisch zuckend mit ihrem ganzen herrlichen Softbody.
Und schließlich singt sie. Ihre Stimme hat ein kristallines Timbre, an zu treffenden Tönen schlenzt sie mit jazziger Nachlässigkeit vorbei, ihr französischer Akzent ist lieblich. Sie schafft es spielerisch, eine trotzig-naive Note in ihre Melodieführung zu legen - als wäre sie zugleich Epigonin von Jane Birkin und Schnappi. Für ihre Texte schöpft sie aus ihrem bewegten Leben, was nicht ohne Verweise auf ihre beispiellose Karriere abgeht: "Ich bin, wie ich bin, und ich bleibe dabei, vom Wollknäuel zum Leben, bin glücklich und frei. Mein Wille zur Wolle. In der Hüfte ein Colt. Erst greif ich zum Mikro und später zum Gold. Wollita außer Kontrolle."
Das letzte Mal - wenn man von Kurzauftritten in der Ausstellung "Kunst oder Königin" und auf der Frankfurter Buchmesse absieht - sah man Wollita im Februar in der Öffentlichkeit: Damals führte sie den Demonstrationszug zum Springerhaus an, wo der Kulturpreis des Boulevardblättchens B.Z. verliehen wurde. Den hatte Wollita für sich gefordert, war sie doch ein Jahr zuvor sehr prominent Opfer und Emblem einer bösen Schmutzkampagne von B.Z . und Bild gegen die Kunstausstellung "When Love Turns To Poison" im Kunstraum Kreuzberg gewesen. Wiederholt wurde sie damals als "große, nackte Strickpuppe" apostrophiert - mit dem Ziel, die Ausstellung wegen unterstellter Anstiftung zur Pädophilie und Kinderpornografie schließen zu lassen und die Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer aus dem Amt zu putschen. Dass die Künstlerin Françoise Cactus Wollita ausgerechnet als Kommentar auf eine gewerbliche B.Z. -Sexanzeige - "Scharfe Wollmaus, 18 Jahre jung, will dich verwöhnen. Immer bereit." - häkelte, als ironischen Kommentar auf die Frau als Sexobjekt, war den bigotten Skandalisierern als Konstruktion zu komplex.
Alles in allem hatte die Medienhetze zur Folge, dass die Künstler der Ausstellung einer Rufmordkampagne ausgesetzt wurden, dass ein christlicher Fundamentalist die Ausstellung verwüstete, dass ein CDU-Lokalpolitiker durch die symbolische Schließung der Ausstellung sein nicht vorhandenes Profil schärfen wollte, dass linke Autonome mit Zerstörung der Ausstellung drohten, es daraufhin Polizeischutz für die Ausstellung gab und schlussendlich die Kameradschaft Spreewacht genehmigt vorm Bethanien herumdemonstrierte - der erste Nazi-Aufmarsch in Kreuzberg seit Kriegsende.
Was aber außerdem passiert war - und das hatte die Boulevardpresse wahrscheinlich so gar nicht im Sinn gehabt: Wollita wurde knapp 30 Aufmacher-Fotos zum Medienstar, zum stadtweit bekanntesten Pin-up-Girl. Und trotzdem bekam sie den B.Z. -Kulturpreis 2005 nicht. Sie war sehr enttäuscht, erkrankte tags darauf an einer schweren Grippe und konnte nur mit einer maßstabsgetreuen Häkel-Kopie des Preises vor dem Zusammenbruch bewahrt werden.
Jetzt scheint sie sich berappelt zu haben. Mit Vehemenz schaltet sie sich wieder ein ins öffentliche Geschehen: Gerade erschien ihre Biografie samt ihrer ersten Solo-CD, sekundiert von einem umfassenden Sammel- und Analyseband zum gemachten Skandal um "When Love Turns To Poison". Auf der Bühne zeigte Wollita sich als selbstständige, gereifte Show-Persönlichkeit, die den Umstand, dass "alle immer wollen, dass ich nach Hause gehe", wie sie es am Freitagabend maulig formulierte, mit einer sehr selbstständigen Gainsbourg-Coverversion kommentierte: "Wollita go home".
Mit den Titeln "Humans get all the credit" von den Puppetmastaz und "Je m'apelle Wollita", einer leicht abgewandelten Version von Alizees "Moi Lolita", steigerte sie sich sowohl dynamisch als auch expressiv hin zu kesser, fast divenhaft angegrätzter Rotzigkeit. Brezel Göring begleitete sie in angemessener Zurückhaltung an den Tasteninstrumenten, und erst zur Zugabe bat sie ganz lässig "meine Freunde" Wolfgang Müller und Françoise Cactus zu sich auf die Bühne. Im Anschluss an ihren umjubelten Auftritt erfüllte sie entspannt im Sessel zurückgelehnt und in einer grauen Pelzjacke die Signierwünsche ihrer Fans.

Kirsten Riesselmann in: taz v. 12.12.2005

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